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Die Maurin

Die Maurin

Titel: Die Maurin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Korte
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sofort anzugreifen. Im Schutz der Abenddämmerung schlichen sie bis sechshundert Fuß an die Festungsmauer heran. Dort gab Boabdil den Befehl, die Armbrüste und Brandpfeile hervorzuholen. Dank der Weichholzflügel an den Pfeilschäften hatten die Pfeile eine Reichweite von bis zu tausend Fuß. An ihrer Spitze befand sich ein Gemisch aus Eisenspänen, das mit einem in Wachs getränkten Tuch umwickelt und in flüssigen Schwefel getaucht worden war. Im Feuer schmolz und verband sich das Wachs mit dem Brandgemisch zu einer zähflüssigen, teigigen Masse. Die Pfeile prallten so an ihrem Ziel nicht ab, sondern blieben regelrecht kleben. Boabdils geübteste Schützen vermochten, bis zu sechs Brandpfeile pro Minute abzuschießen. Schon nach der ersten Salve loderten zahlreiche mit Holzschindeln oder Stroh gedeckte Dächer auf. Raschid nickte Boabdil zuversichtlich zu. Alles lief nach Plan. Brennendes Holz knisterte, Funken sprühten, Heulen und verzweifeltes Wehgeschrei der Christen durchbrach die Abendstille. Die Stadtwachen brüllten Befehle und läuteten die Alarmglocken.
    Schon bald stürmte im gespenstischen Feuerschein der brennenden Häuser der erste kastilische Trupp gegen sie an. Raschid wurde von einem wahren Hünen angegriffen. Während er sich gegen seine Schwerthiebe zur Wehr setzte, sah er aus dem Augenwinkel, dass Boabdil von einem Lanzenreiter bedrängt wurde, mit seinem Ausweichmanöver zu lang zögerte und getroffen wurde. Nur mit Mühe konnte sich Boabdil auf seinem Pferd halten; er drückte die Hand auf die schmerzende Seite. Raschid sah, wie der Lanzenreiter erneut auf Boabdil zuritt. Die Sorge um seinen Emir verlieh ihm Bärenkräfte: Mit einem gewaltigen Hieb stach er seinen Gegner nieder und trieb seinen Berber zu Boabdil. Als Raschid ihn erreichte, trennten den Lanzenreiter und Boabdil nur noch wenige Schritte. Mit einem machtvollen Hieb donnerte Raschid dem Lanzenreiter seine Schwertklinge mitten ins Gesicht. Der Mann fiel vom Pferd, zuckte und blieb dann reglos im Staub liegen. Boabdil wischte sich den Schweiß von der Stirn und warf Raschid einen dankbaren Blick zu. Dann wurde Boabdil erneut angegriffen. Ein berittener Schwertkämpfer hieb auf ihn ein. Raschid sah noch, dass sich Boabdil diesmal weit entschiedener zur Wehr setzte, dann musste er sich selbst gegen zwei Angreifer verteidigen. Hieb folgte auf Hieb, ihre Klingen kreuzten sich in schwindelerregendem Tempo. Raschid merkte, dass er den beiden nicht mehr lange würde standhalten können. Eine Klinge schrammte seine Wange, da stach der zweite Angreifer auf seinen Bauch zu. Raschid meinte den Einstich schon spüren zu können, als das Schwert des Kastiliers im hohen Bogen über das Schlachtfeld flog. Erstaunt wandte Raschid den Kopf und sah, wie der Emir ihm zuzwinkerte. Mit vereinten Kräften hatten sie auch den anderen Ritter binnen kurzem in die Flucht geschlagen.
    Seite an Seite entledigten sich Raschid und Boabdil immer neuer Angreifer, und auch die anderen maurischen Krieger – allen voran Ali al-Attar – waren im Zurückschlagen der kastilischen Gegenwehr höchst erfolgreich, so dass sie binnen weniger Stunden sämtliche christlichen Krieger getötet oder hinter die Stadtmauern zurückgetrieben hatten. Boabdil schickte einen mit einer weißen Fahne bewehrten Boten zum Alcalden der Stadt. Er sollte ihm das Angebot unterbreiten, ihnen die Stadt kampflos zu überlassen. Da sie davon ausgingen, dass der Bote kaum vor dem Morgen wiederkommen würde – das Zurückhalten der Boten war auf beiden Seiten eine beliebte Taktik, um Zeit zu schinden –, befahl Boabdil, ihre bisherige Kriegsbeute in das nächstgelegene maurische Grenzdorf zu schaffen.
     
    Während Ali al-Attar die maurische Truppe durch die mitternächtlich schwarzen Wälder hindurch in heimisches Gebiet führte, ging Gonzalo in der Halle seines Onkels Diego de Córdoba, des Marqués de Cabra, unruhig auf und ab. Schon seit Wochen befand er sich auf dessen Burg in Baena, nur einen halben Tagesritt von Lucena entfernt. Nach einer hässlichen Auseinandersetzung mit Juan de Góngora während der Planung des Angriffs auf Axarquía hatte er es vorgezogen, sich für eine Weile vom Hof zurückzuziehen, ehe er sich noch um Kopf und Kragen redete und im Kerker landete, doch seine Wut und sein Unverständnis über das ebenso unerbittliche wie hitzige Vorgehen der christlichen Könige gegen die Mauren waren noch immer nicht von ihm gewichen. Seiner Königin gegenüber hatte er sich

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