Die Maurin
kleinere Übel erschienen.
Während Gonzalo beim Abendessen saß, wurde ihm die Ankunft seines Bruders gemeldet. Sofort sprang er auf und lief ihm in der Halle entgegen. »Jaime, endlich!«, rief er und schloss ihn in die Arme.
Verwundert ließ Jaime die ungewohnte Herzlichkeit über sich ergehen. »Was ist denn mit dir los?«, fragte er kopfschüttelnd. »Ach je, ich kann es mir schon denken. Du hast dich mit deiner Bitte um den Ehedispens jetzt so in die Bredouille gebracht, dass du dringend deinen kleinen Bruder brauchst, um dich wieder herauszuhauen!«
»Weder ganz falsch noch ganz richtig«, gab Gonzalo zurück. »Aber komm erst einmal rein. Magst du mitessen?«
Jaime nickte, und Gonzalo wies seinen Diener an, noch ein Gedeck aufzulegen. »Es geht um Zahra«, setzte Gonzalo an, als sie am Tisch saßen.
»Und weiter?«
»Sie ist seit Monaten verschwunden, und niemand kann oder will mir sagen, warum und wohin.« Gonzalo sah ihn eindringlich an. »Miguel und ich befürchten, dass Isabel sie hat in den Kerker werfen lassen.«
Er sah, wie sich die Miene seines Bruders verschloss. »Jaime, jetzt komm mir bloß nicht mit deinem widersinnigen Hass auf alles Maurische«, bat er. »Du weißt, ich habe es allein Zahra zu verdanken, dass ich in Loja nicht elendig krepiert bin. Und falls sie wirklich eingekerkert ist, weißt du nur zu gut, dass das niemand lange überleben kann. Wenn Torquemada seine Finger im Spiel hat, was ich befürchte, werden sie Zahra gewiss auch foltern. Wir müssen sie schleunigst da rausholen – wenn es nicht ohnehin schon zu spät ist!«
Jaime schob seinen Teller von sich, erhob sich und trat an das Fenster, das den Blick auf die nächtliche Straße freigab. Gonzalo beschloss, ihm einen Moment zum Nachdenken zu gewähren, doch als sich Jaime auch nach einigen Minuten nicht wieder zu ihm umgedreht hatte, verließ ihn die Geduld. »Nun sag endlich etwas! Kann ich auf dich zählen? Oder kannst du mir zumindest jemanden nennen, der mir dabei hilft, in den Kerkern nach Zahra zu suchen?«
Endlich drehte sich Jaime zu ihm um, langsam und bedächtig. Gonzalo musste an eine Katze denken, die sich an ihr Opfer anschleicht. Jaimes Augen funkelten im Kerzenlicht, seine Miene war angespannt. »Wie kommst du darauf, dass Isabel sie in den Kerker geworfen hat? Da steckt doch mehr dahinter! Hast du etwas mit ihr angefangen, ja, ist es das?«
Gonzalo wurde es unbehaglich. »Wichtig ist im Moment nur, dass wir sie finden«, gab er ausweichend zurück. Er sah, wie es im Gesicht seines Bruders arbeitete. »Jaime, ich weiß, dass du Kontakte in die Kerker hast. Man munkelt, dass du letztes Jahr einen Freund von dir aus dem Kerker befreit hast. Und wenn du mir nicht helfen willst, so sag mir wenigstens, wie du es angestellt hast. Der Gedanke daran, was sie Zahra dort antun könnten, bringt mich um den Verstand! Und falls du es wirklich wissen musst: Ja, verdammt, ich liebe Zahra und will sie, wenn ich jemals meinen Ehedispens durchbekommen sollte, heiraten!«
Als sein Bruder noch immer nicht reagierte, erhob sich auch Gonzalo und trat zu ihm. Bittend legte er ihm die Hand auf die Schulter, und im gleichen Moment verpasste Jaime ihm einen Kinnhaken. Gonzalo flog zurück bis zum Esstisch und riss im Fallen zwei Stühle mit sich. »Verdammt, Jaime, was soll das? Diese Frau hat dir doch nichts getan!«
Sein Bruder warf ihm einen hasserfüllten Blick zu und stürzte hinaus. Als die Tür hinter ihm zuknallte, bebten die Gläser auf dem Tisch.
Am nächsten Morgen erhielt Gonzalo eine Nachricht seines Bruders. Er werde zwar nach Zahra suchen, sein Bruder solle ihm aber nie wieder unter die Augen kommen, wenn er nicht sein Schwert zwischen den Rippen spüren wolle. Gonzalo konnte sich zwar keinen Reim darauf machen, war jedoch froh, dass die Suche nach Zahra endlich voranging.
In den nächsten Wochen erhielt Gonzalo regelmäßig Berichte von Jaime, die allerdings nicht dazu angetan waren, Hoffnungen in ihm zu wecken, denn bisher hatte er in keinem der Kerker, in denen er sich umgehört hatte, eine Spur von Zahra finden können. Stattdessen häuften sich die Hinweise, nach denen sie doch von sich aus die Stadt verlassen haben sollte. Zwei Wochen später schrieb Jaime, ein Bauer habe ihm erzählt, dass er vor wenigen Wochen eine Maurin im Wald aufgelesen habe, die sehr krank gewesen sei. Seine Frau habe gehofft, sie gesund pflegen zu können, um später eine Sklavin im Haus zu haben, aber trotz ihrer Pflege sei die
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