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Die Maurin

Die Maurin

Titel: Die Maurin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Korte
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du?«, fragte sie ihn.
    »Boabdil …« Er sank neben sie. »Zusammen mit den christlichen Truppen hat er az-Zagals Heer in Guadix zerschlagen.«
    »Und während Boabdil mit den Christen gemeinsame Sache macht, sitzen wir hier und …« Zahra blieben die weiteren Worte im Hals stecken.
    »Auch das Volk in Granada scheint so wie du zu empfinden. Ich habe gehört, dass es sich gegen Boabdil erhoben hat. Sie beschimpfen ihn als Verräter und rufen nach az-Zagal, weil man dem zwar manches vorwerfen könne, aber nicht, dass er sein Volk jemals an die Christen verraten habe. Doch auch das wird nichts ändern, nicht für sie und nicht für uns. Gewiss wird Fernando Boabdil Truppen zu seiner Unterstützung schicken.«
    »Wo soll das noch hinführen?« Zahra war so müde und zerschlagen, dass sie noch nicht einmal mehr weinen konnte.
    »Ich weiß es nicht«, seufzte Jaime. »Und wenn ich dir dann auch noch sage, was ich eben im Christenlager gesehen habe …«
    »Was denn?«, fragte Zahra, die meinte, dass sie heute nichts mehr erschüttern könne.
    »Die Christen bekommen Nachschub. Heute früh kamen Schiffe für sie an, Schiffe mit riesigen Mengen Getreide und vielen, vielen Soldaten. Und von den Bergen haben sie endlos lange Herden von Schafen ins christliche Lager getrieben. Isabel hat offensichtlich wieder eines ihrer Wunder bewirkt. Zahra, nur einen Bogenschuss von uns stopfen sich die Christen mit frischem Brot und Braten die Bäuche voll, und wir … Mein Gott, warum habe ich euch bloß hierhergeführt?«
    Zahra nahm seine Hand. »Weil du uns retten wolltest, Jaime, und ich bin die Letzte, die dir daraus einen Vorwurf macht!«
    Da klopfte es leise an die Tür. Zahra öffnete und sah sich ihrer Schwester gegenüber, die ihr mit einem traurigen Lächeln einen halben Laib Brot und zwei Handvoll Rebenblätter zusteckte. »Ibrahim hat es einem Ghumari abgekauft. Ich würde euch gern mehr geben, aber das würde Ibrahim auffallen. Vielleicht kann ich euch in ein paar Tagen noch einmal etwas bringen, aber versprechen kann ich es nicht!«
    Noch ehe Zahra ihrer Schwester danken konnte, huschte sie schon wieder davon.
    Vier Tage lang streckte Zahra das Brot und die Rebenblätter, obwohl Abdarrahman sie pausenlos anbettelte, dass sie ihm mehr geben sollte. Sie selbst aß von Zainabs Gaben am wenigsten, und das auch nur, damit ihr Milchfluss nicht ganz versiegte. Am vierten Tag trieb der Hunger sie wieder auf die Straße. Dicht hinter Jaime, mit Chalida auf dem Arm und Abdarrahman an der Hand, zog sie durch die Stadt, ständig auf der Suche nach einem Ghumari, der ihnen ein Stück Brot oder wenigstens Rebenblätter verkaufen würde. Als sie auf einen größeren Platz kamen, wurden sie von einer Menschentraube gestoppt.
    »Was ist denn da los?«, rief Jaime und versuchte vergeblich, über die vielen Köpfe vor ihm hinwegzusehen.
    »Die Leute sagen, da vorn sei ein Santon«, erklärte Zahra, und da sahen sie auch schon, wie ein paar Männer den Santon auf die Umfriedung eines Grundstücks hoben. Als er seine mageren Hände mit den langen Fingern hob, wurde es so still, dass man seinen Nebenmann atmen hören konnte. Von fern drang das ewige Donnern der Geschütze und das Geschrei der Soldaten zu ihnen.
    Der Santon war ein alter Mann mit einem langen, weißen Bart und ebenso weißen, in alle Richtungen abstehenden Haaren. Von seinem dunklen, asketischen Wesen ging eine Kraft aus, der sich niemand entziehen konnte. Er zog eine maurische Fahne aus seinem Umhang und begann, mit einer für seine schmächtige Statur erstaunlich weittragenden Stimme zu reden.
    »Was sagt er, Zahra?«, zischte Jaime. »Verdammt, ich kann ihn nicht verstehen!«
    Der Santon sprach einen anderen Dialekt als den in den meisten Gegenden Granadas üblichen.
    »Er sagt, er habe uns diese Fahne gebracht, weil Allah ihm offenbart habe, dass den Mauren endlich wieder das Kriegsglück hold sein werde. Unser nächster Ausfall auf die Christen würde uns zum endgültigen Sieg führen. Jaime, er sagt, wir würden die Christen in die Flucht schlagen und uns hernach nach Herzenslust an ihren Vorräten statt essen!«
    Zahras letzte Worte gingen in dem aufbrandenden Jubel unter, und auch sie lachte und schrie und küsste immer wieder ihre Kinder. Jaimes Miene aber blieb düster. Er zog seine Familie ein Stück weit aus dem Gewimmel heraus und knurrte: »Das ist doch nur der Wahn des Hungers, der ihm derartiges eingibt!«
    »Nein, Jaime, Hunger kann einem Santon nichts

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