Die Maurin
anhaben. Glaub mir, wir werden gerettet werden!«
»Zahra, du wirst doch nicht allen Ernstes etwas auf dieses Gerede geben?«
Zahra aber nickte und schickte Allah ein Dankgebet.
Auch El Zegri glaubte an die Eingebung des Santons. Für den Tag, der von dem weisen Mann als günstig bezeichnet worden war, kündigte er einen Ausfall gegen die Christen an. Jaime war zusammen mit einer großen Anzahl Mauren dafür eingeteilt, El Zegris Ghumara zu unterstützen. Bevor er aufbrach, streckte Zahra ihm von ihrer Schlafstatt die Hand entgegen. Am Vortag war ihre Milch endgültig versiegt, und auch Zainab hatte seit Tagen keinen Brotkrümel mehr gehabt, den sie mit ihnen hätte teilen können. Die Kinder hatten die ganze Nacht vor Hunger geweint und waren erst vor kurzem darüber eingeschlafen. Jaime setzte sich noch einmal zu Zahra, strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und versuchte sein Entsetzen darüber zu verbergen, wie abgemagert sie inzwischen war.
»Vielleicht schaffen wir heute wirklich den Durchbruch«, brummte er mit mehr Trotz als Überzeugungskraft in der Stimme. Zahra nickte und schloss die Augen. Eine einzelne Träne rann ihr über die Wange und versickerte in ihrem Haar.
Zwei Stunden später stand das maurische Heer kampfbereit vor dem Stadttor. Jaime befand sich nur wenige Schritte hinter El Zegri und seinen Ghumara. Seine Hand lag auf dem Heft, sein Blick war starr auf das Tor gerichtet, das jeden Moment für sie geöffnet werden würde. Er verbot es sich darüber nachzudenken, in welch desolater Verfassung die Männer um ihn herum waren. Viele wirkten wie Geister, ihre Augen versanken tief in ihren abgemagerten Gesichtern und glänzten wie im Wahn, und Jaime war klar, dass er kein besseres Bild abgab. Das Einzige, was ihm Mut machte, war der Hunger, der in ihnen allen bohrte, und ihre abgrundtiefe Verzweiflung. Keiner der Männer scheute mehr die Gefahr, keiner empfand eine andere Angst als die, dass ihnen weiter der Zugriff auf die christlichen Getreideberge verwehrt werden könnte. Dann wurde das Tor aufgestemmt, und zusammen mit den anderen stürmte Jaime mit markerschütterndem Geschrei auf die Christen los.
Meter um Meter fraßen sie sich durch das christliche Heer, jeder Schwerthieb, jeder Dolchstoß brachte sie dem christlichen Korn näher. Um Jaime herum sanken Soldaten beiderlei Herkunft verletzt oder sterbend zu Boden. Wie seine Kameraden stapfte er über die Gefallenen hinweg, als seien sie Steine. Vorwärts, vorwärts, hämmerte es in seinem Kopf. Nach zwei Stunden hatten sie die Reihen der Christen gelichtet, und Jaime schöpfte Hoffnung, dass sie tatsächlich einen Sieg erringen könnten, doch dann forderte die schlechte Verfassung der maurischen Soldaten Tribut. Ihre Schlagkraft ließ nach, auch Jaime wurde es immer wieder schwarz vor Augen, und mehr als einmal musste er die Zähne zusammenbeißen, um sein Schwert wieder hochreißen zu können. Am späten Nachmittag eroberte ein christlicher Ritter die Fahne des Santons, hinter der sie bisher alle wie hypnotisiert hergestrebt waren, und danach dauerte es kaum noch eine Stunde, bis sie die Schlacht verloren geben mussten. Am Ende seiner Kräfte und mit einer tiefen Schnittwunde am Bein humpelte Jaime zurück in die Stadt, in der von allen Wänden Wehklagen und Angstwimmern widerhallten. Die Soldaten, die den Christen nicht hatten entkommen können, wurden gefangen, die höchsten maurischen Feldherren auf der Stelle geköpft und ihre Häupter an den Stadtwällen aufgespießt.
Als Jaime ihr Zimmer in dem
funduq
betrat, fand er Zahra schlafend vor, in jedem ihrer Arme schlummerte ein Kind. Der friedliche Anblick schnürte ihm den Hals zu. Er legte sich neben sie, küsste Zahra und die Kinder behutsam aufs Haar und war versucht, ihrer aller Leben mit der eigenen Hand ein Ende zu bereiten, damit ihnen das nun Folgende erspart bliebe, aber dann öffnete Zahra die Augen, und er brachte es nicht mehr fertig. Er legte seinen Kopf auf ihren Bauch und weinte.
Schon am Morgen hatte sich Jaime zu Ali Dordur geschleppt, um herauszufinden, wie es nun weitergehen würde. Zahra erwartete seine Rückkehr mit brennender Ungeduld. Endlich öffnete sich die Tür. Angstvoll heftete sie ihren Blick auf ihn und sah sofort, dass er keine guten Nachrichten brachte. Sie sank gegen die Wand; Jaime zog sie an sich. »Zahra, Dordur tut, was er kann.«
»Aber es reicht nicht, so ist …« Ihre letzten Worte ertranken in einem Schluchzer.
Auch
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