Die Maurin
weggebracht hat. Wenn die spanischen Soldaten in die Stadt einfallen, werden sie sich kaum die Zeit nehmen zu fragen, ob wir mütterlicherseits spanischer Abstammung sind, und uns deswegen verschonen!«
Als Zainab ihr die Zunge herausstreckte, versetzte Zahra ihr einen Knuff.
»Kinder, ich bitte euch«, seufzte Leonor. »Das ist jetzt kaum der richtige Moment für Streitereien!« Und nach einem Moment fügte sie leise, wie nur zu sich selbst hinzu: »Vielleicht hätte euer Vater uns wirklich besser auf der Seidenfarm gelassen …«
Zahra tauschte einen raschen Blick mit Hayat. Leonor merkte auf. »Ihr wisst doch etwas, ihr beiden. Also los: heraus damit!«
Hayat sah auffordernd zu Zahra. Seufzend wandte sich diese zu ihrer Mutter um. »Nun ja, es sieht so aus, als wären christliche Soldaten auch wieder in die Vega eingedrungen. Hayat und ich haben heute früh gehört, wie zwei Dienerinnen darüber geredet haben, dass Fernando, bevor er hier mit seinem Heer aufgetaucht ist, in der Vega erhebliche Verwüstungen angerichtet hat. Ganze Dörfer soll er dem Erdboden gleichgemacht haben …«
»Und euer Vater?«, rief Leonor erschrocken. »Was ist mit der Seidenfarm?«
Zahra setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand. »Das wissen wir nicht. Doch die Orte, von denen die Dienerinnen geredet haben, sind noch ein gutes Stück von der Seidenfarm entfernt. Bitte, Mutter, Ihr dürft Euch nicht aufregen. Ich will Euch damit auch nur sagen, dass Vater gut daran getan hat, uns von dort wegzubringen. Außerdem konnte niemand ahnen, dass die Christen sich an Ali al-Attar heranwagen würden.«
Leonor veränderte ihre Position auf dem Diwan. Besorgt trat Tamu zu ihr und strich ihr über die Stirn. »Ich weiß, dass es unter diesen Umständen nicht leicht ist, Herrin, aber Ihr dürft Euch nicht aufregen. Und selbst wenn die Seidenfarm überfallen worden sein sollte, konnte Euer Mann sich gewiss rechtzeitig in Sicherheit bringen – was ihm kaum möglich gewesen wäre, hätte er sich um Euch und Eure Töchter kümmern müssen!«
»Damit hast du sicher recht, Tamu.«
Als Leonor sich erneut unruhig regte, brummte die alte Berberin: »Ich sehe mich mal bei den Nachbarn um, ob ich ein paar Kräuter für einen Beruhigungstee bekommen kann.«
Noch ehe sie die Tür erreicht hatte, wimmerte Leonor auf und verzog schmerzhaft das Gesicht. Sofort eilten Hayat und Zainab zu ihr. »Mutter, was ist mit Euch?«
Tamu scheuchte die Mädchen weg, tastete Leonors Bauch ab und wandte sich zu Zahra um. »Lauft los und besorgt saubere Tücher, eine Schere und heißes Wasser!«
Als die Soldaten Zahra und ihre Familie zu dem kleinen Haus geführt hatten, waren die Gassen der Stadt relativ ruhig gewesen, jetzt aber hatte Zahra das Gefühl, in einen aufgescheuchten Ameisenhaufen geraten zu sein: Von allen Seiten stürmten Menschen an ihr vorbei und stießen sie an, wenn sie nicht rechtzeitig beiseitesprang. Eine alte Frau, wie sie erschrocken an den Straßenrand gedrückt, erzählte ihr mit schreckgeweiteten Augen, dass die Christen die Brücke erobert und Dutzende von Häusern an der Stadtmauer in Brand gesetzt hatten. Die Soldaten hatten die Stadtbevölkerung dazu aufgerufen, sich mit Eimern an der Stadtmauer einzufinden, um ein Übergreifen der Flammen auf die übrige Stadt zu verhindern. Zahra fragte sie, ob sie ihr vielleicht heißes Wasser, Tücher und eine Schere geben könne, woraufhin die Alte zu weinen begann. »Ich bin selbst erst vor drei Tagen hergekommen. Die gottlosen Christen haben unser Dorf überfallen; mir ist nichts geblieben, als was ich auf dem Leib trage!«
Zahra drückte der Alten ein Geldstück in die Hand und ging weiter. Sie hoffte, im nächsten Haus das Nötige zu finden, doch außer ein paar verschreckten Kindern war niemand dort. Ein Stück weiter sah Zahra einen Trupp Gefangener auf sich zukommen. Ihre Waffen und Rüstungen hatte man ihnen schon abgenommen. Zahra wusste, dass hinter dem Ablegen der Rüstungen nicht der barmherzige Akt eines maurischen Soldaten stand, der es den Gefangenen ersparen wollte, in den starren Eisenkorsetten auszuharren, sondern dass man sie ihnen aus purer Raffgier ausgezogen hatte. Die Rüstungen waren begehrte Trophäen und lagen inzwischen gewiss schon an einem sicheren Ort. Ohne es zu wollen, sah Zahra zu den Gefangenen hinüber und blieb wie angewurzelt stehen: Miguel!
Als Zahra noch einen Schritt auf ihn zumachte, wurde auch er auf sie aufmerksam und schien nun trotz ihres Schleiers
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