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Die Maya-Midgard-Mission

Die Maya-Midgard-Mission

Titel: Die Maya-Midgard-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Sieberichs
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weißen Tupfen bedeckt. Die Ränder des Hummerrots flimmerten und verschwammen. Aber der Wattebausch verharrte wie ein Fixstern an Ort und Stelle. Es sah aus wie ein Erdbeereis, das über den Becherrand schmilzt. Ein Erdbeereis mit Sahnehaube. Und je tiefer die Sonne sank, umso roter und desto weniger wurde das Eis. Nur die Sahne veränderte weder Form noch Farbe.
    " Eine Insel", sagte Virginia und begann ihre Hände als Paddel zu benutzen. "Es ist eine Insel."
    " Ja", sagte Caldera und sein fast schon vergessenes Überlegenheitsgefühl stellte sich wieder ein. "Sehe ich auch so."
    " Eine wunderschöne, sagenhafte, lebensrettende Insel", sagte Virginia fast ehrfurchtsvoll und beschleunigte den Rhythmus ihres Ruderns.
    " Atlantis ist aufgetaucht!", meinte Caldera und in seinen schwarzen Augen spiegelte sich der glutrote Schein einer im Abendrot versinkenden Insel wider.
    Nach zwei Stunden atemloser Paddelei hielten sie erschöpft inne. Die Insel war nicht mehr zu erkennen. Aber die vermeintliche Sahnehaube wurde vom Mond beschienen, und Caldera konnte wie Virginia Gluth deutlich sehen, dass es eine Wolke war, die wunderbare rweise ihre Position hielt.
    Unter ihnen lauerte dunkel und unergründlich ein flüssiges Abbild des Gewölbes über ihren Köpfen. Virginia hätte nicht sagen können, we lcher Ozean ihr grenzenloser erschien: das All oder der Atlantik? Für den Moment war es die See, die unheimlicher und bedrohlicher wirkte. Wie winzige Inseln so glitzerten verheißungsvoll die Spiegelbilder ferner Sterne auf den nachtblauen Wogen; greifbar und nahe und doch genauso unerreichbar wie eine wirkliche Insel. Sie hatte nie gebetet. Aber vielleicht würde nur ein Gebet sie der Wirklichkeit näher bringen. Sie fühlte sich wie eine Sternschnuppe, die schon Lichtjahre bevor der zufällige Betrachter sich an ihrem Verglühen erfreute, verloschen war: vergänglich und schön und in die Irre geleitet.
    " Meinst du, wir müssen sterben?", sagte sie leise.
    Caldera rührte sich nicht. Seine Augenhöhlen waren gähnende Löcher, so schwarz hatte sich die Nacht über sie gesenkt. Schwarze Löcher, die alle sie umgebende Energie anzogen und aufsaugten und in ihrem Inneren verdichteten. Caldera lud seine leeren Akkus auf. Und er schwieg so lange, dass Virginia schon dachte, er hätte ihre Frage nicht gehört oder wollte sie nicht hören. "Manche Menschen sind tot und sterben doch niemals", sagte er endlich mit einer rauchigen Stimme, die mit seiner Drogenboss-Aktionskünstler-Weisheit getränkt war wie eine Schiffsplanke mit Salzwasser, Teer und Farbe. "Und andere wiederum sind am Leben und haben doch niemals gelebt. Sicher werden wir sterben müssen. Die Frage ist nur: Wird es ein Anfang oder nur ein Ende sein?"
    " Nietzsche, Gott und Carlos Caldera", erwiderte Virginia Gluth und dachte, dass dieser Satz eine nette Überschrift für ihr erstes Essay im nächsten Leben abgeben würde, "saßen in einem Floß und spielten Freud. Da fragte sie ein verdurstendes Weibchen, ob sie sterben müsse. 'So würde ich das nicht nennen', sagte Nietzsche. 'Alles eine Frage der Definition', sagte Gott und Caldera ergänzte: 'Vielleicht sollten Menschen Meerwasser trinken, und vielleicht ist Durst eine Ausgeburt zu trockenen Humors'."
    " Geht die Geschichte nicht weiter?", fragte Caldera.
    " Doch, aber erst nach ihrem Ende."
    " Bei Tagesanbruch haben wir es geschafft, Feuerfrau", meinte Caldera aufmunternd. "Die Insel ist immer noch da, wo wir die Wolke sehen können. Und da wird sie auch morgen früh noch sein. Nur wir sind ihr dann etwas nähergekommen. Ich gebe zu, dass in manchen Situationen Paddeln vielleicht besser ist als Philosophieren. Aber du hast mich gefragt, und ich habe geantwortet. Ich bin nun mal ein denkender Dealer, weißt du?"
    Virginia schmerzten die Glieder vom Paddeln und dem verkrampften Kauern. Vielleicht waren es auch ihre Kalauer, die ihr Kopfschmerzen bereiteten. Sie war müde und durstig und ihre Hoffnung war so rissig wie die pergamentene Haut ihrer Lippen. Sie spürte, dass sie sich ein wenig Mut machen musste. "Hoffentlich nehmen die VISA an der Strandbar", sagte sie aufgekratzter als ihr zumute war. "Meine Scheine sind genauso schrumpelig und aufgeweicht wie der Rest von mir."
    Caldera nahm ihren Tonfall auf, füllte seine Blechbüchse mit Salzwa sser, hob sie wie ein Weinglas zum sternenübersäten Himmel und brachte einen Trinkspruch aus. "Auf unsere Wolkeninsel. Möge aus ihren Süßwasserquellen mehr

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