Die Maya-Midgard-Mission
seiner ehemaligen Gegenspielerin besänftigend eine Hand auf den Arm. "Vielleicht sind wir längst tot. Der Traum des Lebens ist für uns beendet, und wir wehren uns nach Kräften gegen die Hölle unserer Phantasien. Was also hätten wir zu verlieren? Aber so ist die Welt nicht gestrickt, Gnädigste. Nein, so nicht! Wenn die Sonne untergeht, wird es Nacht. Aber woher willst du das wissen? Du weißt es nicht, du vertraust den dir gegebenen Messinstrumenten, deinen Sinnen. Es ist Nacht, weil du kein Licht siehst. Du spürst den Wüstenwind kühl über deine Haut streichen, folglich bist du im Freien. Du schmeckst Jahrtausende alten von Wind und Wetter gebackenen Sandstein in der Luft, du schnupperst den Duft von Schilfgras, von fremder Haut. Deine Sinne verraten dir den Zustand deines Seins. Vertraue ihnen. Vertraue mir, Gnädigste; denn ich vertraue dir!"
Daria löste die lederne Hülle von Calderas Manuskript. Sie holte einen Papyrusbogen aus dem Etui und entrollte ihn. "Tatsächlich!", rief sie immer noch ungläubig aus, "die Hieroglyphenschrift eines Maya-Volkes. Die Spiralsonne, das Zeichen des Brunnens. Es sind die Bücher der Sechsten Sonne. Der heilige Vogel Quetzal und die abgelegten Hautschichten der Weltenschlange, die Insignien von SchlangenVogel. Aber das Datum? Das Datum kann nicht stimmen. 4.9.17.16.2. Das ist, das entspricht..."
" Diese Zeilen habe ich vor exakt vier Tagen geschrieben", sagte Maja leise. "Ich hoffe, ich habe nichts vergessen."
Daria löste sich von Calderas Hand. Es hielt sie nicht mehr auf dem Steinboden der Pyr amide. Sie erhob sich und dehnte ihre Glieder, die in der aufkommenden Nachtkühle steif geworden waren. Das Papyrus-Manuskript ganz dicht vor Augen, rieb sie es vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und schmeckte dann an den Farbresten an ihrem Daumen.
" Zinnober und Kohlenstaub! Aber wie kannst du die Glyphensprache der Maya des Spätklassikums...? Oh, natürlich, ich vergaß für einen Moment, dass du Caupolican warst. Du hast es einfach vom gestohlenen Original abgeschrieben."
" Nein, Gnädigste, glaube mir, die Wahrheit ist viel einfacher", sagte Maja, der immer noch neben der Archäologin auf dem Boden kauerte. "Ich habe nicht nur diese Papyrusrollen beschriftet, ich bin der Verfasser der Bücher der Sechsten Sonne. Ich habe sie geschrieben. Nun, jedenfalls ihren Anfang..."
" Das kann ich dir einfach nicht glauben", sagte Daria und ließ den Papyrus ohne einen weiteren Blick achtlos zwischen seine Beine fallen. "Ich kann und will nicht. Wie könnte etwas so reiches, so kostbares und tiefes... Wie könntest du die Bibel einer ganzen Zivilisation geschrieben haben? Die Bücher der Sechsten Sonne sind keine Fiktion, Caldera. Und du bist ein Betrüger! Ein betrogener allerdings..." Und jetzt dachte sie an ihre Theorie über die Methodik der Zeitreisen, dachte es eindringlich, ausdauernd und nicht ohne einen Schuss trotziger Ironie.
Maja erhob sich ebenfalls mit knackenden Knochen. "Heureka!", sagte er ohne Begeisterung, hieb sich mit der flachen Hand an die Stirn und nickte Daria mit ernster Miene zu. "Ich weiß auch nicht, wie ich das vergessen konnte, Gnädigste. Aber du hast richtig spekuliert. Natürlich haben wir alle Manuskripte zum Schutz vor Dieben wie mir mit einem unsichtbaren und geschmacklosen Gift versehen. Als Caupolican war ich gleich doppelt mit dieser Aufgabe betraut. Ich war neben SchlangenVogel der Fachmann für bewusstseinserweiternde Pflanzen in Toxtlipan. Meine Reisen als Kaufmann dienten hauptsächlich der Versorgung mit Nachschub an solchen psychotropen..."
Daria lachte leise. "Du bist dir wirklich treu geblieben, was Caldera. Der Fachmann für alles Berauschende jenseits von Raum und Zeit. Einmal Drogenbaron, immer Drogenbaron."
" ...Pflanzen", fuhr Maja ungerührt fort. "Für die herzförmigen Blätter des Sonnenbaums, des Chac Kin Te, musste ich mich zweimal bis Peru vorkämpfen, habe die Jadestraße rauf und runter bereist, Mittel- und Südamerika durchforstet... Und die Säfte des Psilocybe, deren Herstellung nur SchlangenVogel beherrschte, ließen uns mit den Göttern sprechen..."
" Weshalb Francisco Hernandez, der Leibarzt von Philipp II. diesen Pilz in seinen Aufzeichnungen als Gottesfleisch erwähnte...", sagte Daria nachdenklich.
" Möglich, möglich. Wir haben ihn jedenfalls mit Kakao und Honig gemischt und zusammen mit dem Blattmus des Chac Kin Te zu einer rötlichen Substanz verkocht, die..."
Daria rieb sich ungeduldig
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