Die Mayfair-Hexen
er wirklich, das mußte er zugeben.
»Wie geht’s Ihnen, Grandma? Nehmen Sie auch alle Ihre Tabletten?« fragte er.
Mary Jane hob die Kühltasche auf, kaum daß er sie hingestellt hatte, und lief davon. Hier auf dem Speicher war es gar nicht so schlecht. Überall baumelten elektrische Lampen, und an den Leinen hing saubere Wäsche an hölzernen Wäscheklammern. Unmengen von behaglichen alten Möbeln standen überall verstreut, und es roch nicht nach Schimmel – im Gegenteil, es roch nach Blumen.
»Was ist dieses Klicken, das man da unten im ersten Stock hört?« fragte er, als Grandma Mayfair seinen Arm nahm.
»Kommen Sie nur hier herein, Dr. Jack, und tun Sie, was Sie tun müssen, und dann füllen Sie die Geburtsurkunde aus. Wir wollen keine Probleme mit der Anmeldung dieses Babys haben. Hab ich Ihnen je erzählt, was für Probleme ich hatte, als ich Yancy Mayfair erst zwei Monate nach seiner Geburt anmeldete? Sie glauben gar nicht, was ich im Rathaus für Schwierigkeiten gekriegt habe; die sagten mir, ich hätte…«
»Und Sie haben diesen kleinen Stöpsel entbunden, ja, Granny?« Er tätschelte ihr die Hand. Seine Krankenschwestern hatten ihn gewarnt, als sie das erstemal gekommen war: Am besten warte er gar nicht erst darauf, daß sie ihre Geschichten zu Ende erzählte, denn das tat sie nie. Zwei Tage nach der Eröffnung war sie in seine Praxis gekommen und hatte verkündet, daß keiner der anderen Ärzte in der Stadt sie je wieder anrühren dürfe. Das war eine Geschichte!
»Hab ich, allerdings, Doktor.«
»Die Mama ist da drüben«, sagte Mary Jane und deutete auf den Seitengiebel des Dachbodens, der mit ungebleichten Moskitonetzen verhangen war, so daß er aussah wie ein Zelt mit spitzem Dach. Hinten leuchtete fern das Rechteck des regenüberspülten Fensters.
Beinahe hübsch, wie das aussah. Drinnen brannte eine Öllampe, das konnte er riechen, und er sah auch das warme Licht in dem verräucherten Glaszylinder. Das Bett war groß, und darauf türmten sich Steppdecken und Oberbetten. Es machte ihn plötzlich traurig, als er an seine eigene Großmutter dachte, und an Betten wie dieses, vor vielen, vielen Jahren; die Steppdecken waren so schwer gewesen, daß man die Zehen darunter nicht bewegen konnte, und wie warm es darunter gewesen war an einem kalten Morgen in Carriere, Mississippi…
Er hob die langen dünnen Schleier hoch und zog den Kopf ein wenig ein, als er unter den First des Giebels trat. Die Zypressenholzdielen waren hier blank, von dunklem, bräunlichem Rot und sauber. Und nirgends regnete es durch, obwohl durch das regennasse Fenster triefendes Licht auf alles fiel.
Das rothaarige Mädchen lag warm zugedeckt im Bett. Es war halb eingeschlafen. Die Augen wirkten eingefallen/die Haut um sie herum war erschreckend dunkel, und ihre Lippen waren rissig. Sie atmete offensichtlich mit Mühe.
»Diese junge Frau gehört ins Krankenhaus.«
»Sie ist erschöpft, Doktor. Das wären Sie auch«, sagte Mary Jane mit ihrer scharfen Zunge. »Wieso bringen Sie es nicht hinter sich, damit sie sich ein bißchen ausruhen kann.«
Zumindest war das Bett sauber, sauberer jedenfalls als die behelfsmäßige Tragewiege. Das Mädchen lag auf frischen Laken und trug ein feines altes Hemd mit altmodischem Spitzenbesatz und kleinen Perlmuttknöpfen. Sie hatte die rötesten Haare, die er je gesehen hatte; lang und voll und gebürstet lagen sie auf dem Kopfkissen. Das Baby würde eines Tages vielleicht auch so rote Haare haben, aber jetzt waren sie noch blasser.
Apropos Baby – jetzt gab es endlich ein Geräusch von sich in seinem kleinen Kühltaschenbettchen, Gott sei Dank. Er hatte schon angefangen, sich Sorgen zu machen. Granny Mayfair nahm das Kind auf den Arm, und an der Art, wie sie es hochhob, sah er, daß es bei ihr in guten Händen war, auch wenn er lieber nicht daran denken wollte, daß eine Frau in diesem Alter hier die Verantwortung für alles trug. Und man brauchte sich nur das Mädchen im Bett anzuschauen. Sie war noch jünger als Mary Jane.
Er trat näher heran, ließ sich mühsam auf die Knie sinken und legte der Mutter eine Hand auf die Stirn. Langsam öffnete sie die Augen, und überrascht sah er, wie tiefgrün sie waren. Das war ja selbst noch ein Kind. Hätte nie ein Baby kriegen dürfen!
»Alles in Ordnung, Schatz?« fragte er.
»Ja, Doktor«, sagte sie mit heller, klarer Stimme. »Würden Sie bitte die Papiere ausfüllen für mein Baby?«
»Du weißt genau, daß du
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