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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Kohle wurde daraufgestreut. Menschen brachten Fackeln herbei.
    »Sprich«, flüsterte Ninian neben mir. »Für Christus, Ashlar.«
    Ich schloß die Augen, ich betete, ich bekreuzigte mich, und dann bat ich alle, mir zuzuhören.
    »Ich sehe vor mir einen Kelch«, sagte ich leise, aber doch laut genug, daß alle mich hören konnten. »Ich sehe den Kelch mit Christi Blut, den Joseph von Arimathaia nach England brachte. Ich sehe das Blut Christi, wie es in den Brunnen gegossen wird, ich sehe, wie das Wasser rot fließt, und ich weiß, was es bedeutet. Das Blut Christi ist unser Sakrament und unsere Nahrung. Für alle Zeit soll es ersetzen die verfluchte Milch, die wir in unserer Wollust bei unseren Frauen gesucht haben, und es soll uns fortan zur Nahrung und zum Tranke dienen.
    Und das furchtbare Gemetzel dieses Tages möge Christus als unser erstes großes Opfer annehmen. Denn wir verabscheuen das Töten. Wir verabscheuen es, und wir haben es immer verabscheut. Und wir wenden es nur an gegen die Feinde Christi, auf daß Sein Reich komme auf Erden und Er für alle Zeiten herrschen möge.«
    Das war die Kunst der Zunge, wie ich sie verstand. Ich sprach eloquent und tränenreich, und die ganze Meute, Menschen wie Taltos, jubelte und lobte Christus, und sie warfen ihre Schwerter zu Boden, sie rissen sich ihren Schmuck ab, ihre Ringe und Armbänder, und erklärten, sie seien wiedergeboren.
    Und kaum waren die Worte über meine Lippen gekommen, da wußte ich im selben Augenblick, daß es Lügen waren. Diese Religion war eine trügerische Sache, und Fleisch und Blut Christi konnten auch töten, so sicher wie Gift.
    Aber wir waren gerettet, wir, die wir als Ungeheuer entlarvt waren. Die Menge wollte unseren Tod nicht mehr. Wir waren in Sicherheit – alle außer Janet.
    Sie schleiften sie zum Scheiterhaufen, und obgleich ich protestierte, weinte und bettelte, sagten die Priester, nein: Janet müsse sterben, damit all denen eine Lektion erteilt werde, die sich Christus verweigerten.
    Das Feuer wurde angezündet.
    Ich warf mich zu Boden; ich konnte es nicht ertragen. Dann sprang ich wieder auf, stürzte zu dem langsam aufflammenden Feuersbrand, wurde aber gleich zurückgerissen und wider Willen festgehalten.
    »Ashlar, dein Volk braucht dich!«
    »Ashlar, setze ein Beispiel!«
    Janet richtete den Blick auf mich. Die Flammen leckten an ihrem rosenroten Gewand und an ihren langen blonden Haaren. Sie blinzelte im aufsteigenden Rauch und rief mir zu:
    »Verflucht, Ashlar, verflucht für alle Zeit! Möge der Tod dich in Ewigkeit meiden. Mögest du wandern, ungeliebt und kinderlos und ohne dein Volk, bis unsere wunderbare Geburt der einzige Traum in deiner Einsamkeit ist. Ich verfluche dich, Ashlar. Möge die Welt um dich herum zerfallen, bevor dein Leiden ein Ende hat.«
    Die Flammen sprangen hoch und verhüllten ihr Gesicht, und ein dunkles Brüllen drang aus dem schnell verbrennenden Holz. Dann erklang noch einmal ihre Stimme, lauter, voller Qualen, aber auch voller Mut.
    »Fluch über Donnelaith, und Fluch über sein Volk für alle Zeit! Fluch über den Clan von Donnelaith! Und Fluch über Ashlars Volk!«
    Etwas wand sich in den Flammen. Ich wußte nicht, ob es Janet in ihrem Todeskampf war oder ein Trugbild aus Licht und Schatten und züngelnden Flammen.
    Ich war auf die Knie gefallen. Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten, und es gelang mir auch nicht, mich abzuwenden. Es war, als müsse ich den Weg dieser Qual soweit wie möglich mit ihr gehen, und ich betete zu Christus: »Sie weiß nicht, was sie sagt. Nimm sie zu dir in den Himmel. Weil sie gut war zu anderen, gut auch zu ihrem Volk, nimm sie in den Himmel auf.«
    Die Flammen züngelten himmelwärts und erstarben im nächsten Moment. Der Scheiterhaufen wurde sichtbar, ein glühender Haufen aus Holz und verkohltem Fleisch und Knochen, die Überreste jenes anmutigen Geschöpfes, das älter und weiser gewesen war als ich.
    Im Glen war es still. Von meinem. Volk war nichts übrig außer fünf Männern, die gelobt hatten, im christlichen Zölibat zu leben.
    Leben, die Jahrhunderte überdauert hatten, waren ausgelöscht worden. Abgerissene Gliedmaßen, abgehackte Köpfe, verstümmelte Leiber lagen überall.
    Die Christenmenschen weinten. Wir weinten.
    Fluch über Donnelaith, hatte sie gesagt. Ein Fluch. Aber Janet, meine geliebte Janet, betete ich, was kann uns denn noch mehr passieren?
    Ich brach zusammen.
    In diesem Augenblick hatte ich genug vom Leben. Ich hatte genug von

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