Die Mayfair-Hexen
umbringen?«
»Oh, sie wird das trinken. Sie trinkt es immer. Sie trinkt alles, was ich ihr vorsetze.«
Er sah zu ihr auf. »Mona, es war einfach alles, was ihr da pa s siert ist. Schuld war vielleicht… das letzte, was da passiert ist…«
Mona nickte. Sie versuchte es sich noch einmal vorzustellen, das Ganze, was er ihr beschrieben hatte, in knappen Worten. Die Pistole, der Schuß, der fallende Körper. Das schreckliche Geheimnis der Milch.
»Du hast noch niemandem davon erzählt, oder?« fragte er in ernstem Flüsterton. Gott sei mir gnädig, wenn ich es getan hätte, dachte sie.
»Nein, und ich werde es auch niemals tun«, sagte sie. »Ich weiß, wann ich reden und wann ich nicht reden darf, aber…«
Er schüttelte den Kopf. »Sie wollte nicht zulassen, daß ich den Leichnam berühre. Sie bestand darauf, ihn selbst hinunterzutragen, und dabei konnte sie kaum gehen. Solange ich lebe, werde ich diesen Anblick nicht mehr vergessen, nie mehr. Den ganzen Rest… ich weiß nicht. Das wirft mich nicht um, aber wenn eine Mutter den Leichnam ihrer Tochter davon schleppt…«
»Hast du es so gesehen? Als wäre es ihre Tochter?«
Er antwortete nicht. Er starrte nur weiter ins Leere, und nach und nach verging der Ausdruck von Schmerz und Sorge; er nagte einen Moment lang an der Unterlippe und lächelte dann fast.
»Du darfst niemals jemandem davon erzählen«, flüsterte er. »Nie, nie, nie. Das braucht niemand zu wissen. Aber eines Tages wird sie vielleicht darüber reden wollen. Vielleicht ist es vor allem das, was sie zum Schweigen gebracht hat.«
»Mach dir keine Sorgen, daß ich darüber reden könnte«, sagte sie. »Ich bin kein Kind mehr, Michael.«
»Ich weiß, Honey, glaub mir, das weiß ich«, sagte er mit e i nem warmen Funken von guter Laune.
Dann war er wieder fort, vergaß Mona, vergaß sie alle, auch das große Glas mit dem schmierigen Zeug. Er starrte ins Le e re. Und eine Sekunde lang sah es so aus, als wolle er alle Hoffnung aufgeben, als sei er völlig verzweifelt und unerreic h bar für jedermann, vielleicht sogar für Rowan.
»Michael, um des lieben Herrgotts willen, sie wird wieder g e sund werden. Sie wird wieder auf die Beine kommen.«
Er antwortete nicht gleich, und dann murmelte er: »Sie sitzt genau an der Stelle – nicht auf dem Grab, aber dicht daneben.« Seine Stimme klang gepreßt.
Er würde gleich weinen, und das würde Mona nicht aushalten können. Von ganzem Herzen sehnte sie sich danach, zu ihm zu gehen und ihn in die Arme zu schließen. Aber das hätte sie für sich selbst getan, nicht für ihn.
Sie sah plötzlich, daß er lächelte – um ihretwillen natürlich -, und dann sagte er mit einem kleinen, philosophischen Achselzucken: »Dein Leben wird voll guter Dinge sein, denn die Dämonen sind erschlagen und du erbst den Garten Eden.« Sein Lächeln wurde breiter und von aufrichtiger Güte. »Und sie und ich, wir werden diese Schuld mit ins Grab nehmen, was immer wir getan oder nicht getan haben, tun mußten und aneinander versäumt haben.«
Er seufzte und stützte die verschränkten Arme auf die Küchentheke. Er schaute hinaus in die Sonne und den Garten, der sich sanft bewegte, erfüllt von raschelnden grünen Blättern und vom Frühling.
Schließlich richtete er sich auf, nahm das Glas und wischte es mit einer alten weißen Serviette ab.
»Ah, das ist nun wirklich schön, wenn man reich ist«, sagte er.
»Was denn?«
»Leinene Servietten zu haben« meinte er, »wann immer man will. Und leinene Taschentücher.«
Er zwinkerte ihr zu. Sie mußte unwillkürlich lächeln. Was für ein Trottel. Aber zum Teufel, wer außer ihm konnte ihr so z u zwinkern? Niemand.
»Du hast nichts von Yuri gehört, oder?« fragte er dann.
»Das hätte ich dir erzählt«, sagte sie betrübt. Es tat weh, Yuris Namen zu hören.
»Hast du Aaron gesagt, daß du nichts von ihm hörst?«
»Hundertmal, und dann noch dreimal heute morgen. Aaron hat auch nichts von ihm gehört. Er macht sich Sorgen. Aber er will nicht zurück nach Europa. Er will sein Leben hier bei uns zu Ende leben. Er sagt, ich soll nicht vergessen, daß Yuri u n glaublich clever ist, wie alle Ermittler bei der Talamasca.«
»Du glaubst also, daß ihm etwas passiert ist?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie dumpf. »Vielleicht hat er mich bloß vergessen.« Das war zu furchtbar, um darüber nachzudenken. So konnte es nicht gewesen sein. Aber man mußte den Di n gen ins Auge sehen, nicht wahr? Und Yuri war ein Mann von
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