Die Mayfair-Hexen
– ob das Gras weiter wachsen würde, ob Rowan wieder warm und vertrauensvoll in seinen Armen liegen würde, ob er sich von dem großen Mann in New York würde fernhalten können, mit dem ihn eine überaus ungewöhnliche Freundschaft verband.
Und die Vergangenheit – die Vergangenheit machte keinen Spaß mehr und würde nie wieder welchen machen. Sie war jetzt ein Erbe, mit allen Lasten, Flüchen und Geheimnissen.
Sie stiegen am Rande des gewaltigen Rechtecks von aufgewühlter Erde aus. Auf Schildern stand MAYFAIR MEDICAL und ein Dutzend Namen und Daten. Und noch etwas, so klein, daß seine alternden Augen es nicht lesen konnten.
Er versuchte sich auf den Bauplatz zu konzentrieren, zu begreifen, was sein Verstand ihm da sagte: daß erstaunliche Fortschritte gemacht worden waren, daß zirka hundert Männer da draußen in den vier Blocks arbeiteten, daß Mayfair Medical wirklich und wahrhaftig Gestalt annahm.
Hatte Rowan Tränen in den Augen? Ja, die elegante Lady mit den gerade geschnittenen Haaren und dem schlanken Schneiderkostüm aus geschmeidigem Tuch, sie weinte lautlos. Er trat näher an sie heran, was zum Teufel sollte all dieser Abstand, dieses Respektieren der Privatsphäre, der Gefühle eines anderen? Er nahm sie fest in die Arme, suchte sich die weichste Stelle an ihrem Hals und küßte sie dort, bis sie sich raschelnd an ihn schmiegte und sich leicht zurückbog. Ein hübsches Beben lief durch ihre Hände, als sie seinen Kopf umfaßte und sagte: »Ihr habt weitergemacht, ihr alle. Damit hätte ich nie gerechnet.« Ihr Blick ging zu Pierce, dem schüchternen Pierce, der bei diesem Kompliment errötete.
»Es ist ein Traum, den du uns geschenkt hast, Rowan, und jetzt ist es auch unser Traum, und weil alle unsere Träume wahr werden – weil du hier bist, wieder bei uns -, da soll eben auch dieser hier wahrgemacht werden.«
»Na, das war ja eine Anwaltsrede, mit Rhythmus und genau der richtigen Durchschlagskraft«, bemerkte Michael. War er etwa eifersüchtig auf diesen jungen Bengel? Frauen hatten allerdings die Neigung, Schmachtaugen zu bekommen, wenn sie Pierce Mayfair anschauten. Wenn Mona das nur auch so sehen könnte, wenn sie sehen könnte, daß er der Richtige für sie war, zumal da er sich jetzt, nach Giffords Tod, mehr und mehr von seiner Verlobten Clancy entfernte. Immer öfter kam es vor, daß Pierce nur ein Stück weit von Mona entfernt saß und sie anstarrte. Yeah, vielleicht erwachte da auch ein bißchen Interesse bei Mona…
Michael berührte Rowans Wange. »Küß mich.«
»Dies ist eine vulgäre Vorführung«, schnurrte sie, »und das weißt du. Alle Arbeiter starren uns an.«
»Das hoffe ich«, sagte er.
»Laß uns nach Hause fahren«, flüsterte sie.
»Pierce, was macht Mona, hast du Neuigkeiten?« fragte Michael. Sie stiegen in den Wagen. Er hatte vergessen, wie es war, in normalen Autos zu fahren, in einem normalen Haus zu wohnen, normale Träume zu haben. Ashs Stimme sang für ihn im Schlaf. Sogar jetzt hörte er das musikalische Wispern in den Ohren. Und würden sie Ash je wirklich wiedersehen? Oder würde Ash verschwinden hinter all den Bronzetüren, würde er sie aussperren und sich nur vielleicht durch gelegentliche Zeilen an sie erinnern, obwohl sie natürlich anrufen, nach New York kommen, mitten in der Nacht an seiner Haustür läuten konnten: »Ich brauche Sie!«
»Ah, Mona, ja«, sagte Pierce. »Sie benimmt sich sonderbar. Wenn Dad mit ihr spricht, hört sie sich an, als wäre sie völlig high. Aber es geht ihr gut. Sie ist bei Mary Jane. Und gestern hat in Fontevrault eine Kolonne mit der Arbeit angefangen.«
»Oh, das freut mich zu hören«, sagte Michael. »Dann werden sie das Haus also noch retten.«
»Na ja, es war klar, daß es getan werden mußte, denn weder Mary Jane noch Dolly Jean würden zulassen, daß es abgerissen wird. Ach, ich glaube, Dolly Jean ist auch bei ihnen. Dolly Jean mag ja aussehen wie ein verschrumpelter Apfel, aber es heißt, sie ist noch sehr flott.«
»Ich bin froh, daß sie da ist«, sagte er. »Ich mag alte Leute.« Rowan lachte leise und ließ den Kopf auf seine Schulter sinken. »Vielleicht bitten wir Tante Viv herüber«, fuhr er fort. »Und wie geht’s Bea? Was ist mit Bea?«
»Tja«, sagte Pierce und legte den Kopf schräg, »da hat die uralte Evelyn das Wunder gewirkt, einfach indem sie aus dem Krankenhaus nach Hause kam und Pflege brauchte. Rate mal, wer auf der Stelle in die Amelia Street geflitzt ist, um sie mit
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