Die Mayfair-Hexen
gedämpftes Morgenlicht herein. Er griff zum Telefonhörer; rasch drückte er die Direktwahlnummer, gefolgt von der Vorwahl der USA.
Dann zögerte er. Er fühlte sich völlig außerstande, die schützenden Lügen auszusprechen, die er Mona aufbinden müßte. Zugleich brannte er darauf, mit Aaron zu sprechen und ihm zu sagen, was er wußte, und halb fürchtete er auch, er würde im nächsten Augenblick daran gehindert werden, überhaupt jemanden anzurufen.
Auf der Fahrt von Schottland herunter hatte er sich unversehens ein paarmal in Telefonzellen wiedergefunden, wo er eben dieses Dilemma erlebt hatte, bis der Zwerg ihm befohlen hatte, auf der Stelle wieder ins Auto zu steigen.
Was sollte er seiner kleinen Geliebten erzählen? Wieviel kon n te er Aaron in den wenigen Augenblicken sagen, die ihm für dieses Gespräch vielleicht nur zur Verfügung standen?
Hastig tippte er die Vorwahl für New Orleans und die Nummer des Mayfair-Hauses in der Amelia Street, und dann wartete er. Plötzlich dachte er besorgt daran, daß es in Amerika womöglich Mitternacht war, und dann begriff er, daß es in der Tat so war.
Ein unhöflicher, schrecklicher Fehler, ungeachtet der Umstände. Schon hatte sich jemand gemeldet. Es war eine Sti m me, die er kannte, aber nicht zuordnen konnte.
»Ich rufe aus England an. Es tut mir so leid, aber ich versuche, Mona Mayfair zu erreichen«, sagte er. »Ich habe hoffentlich nicht das ganze Haus geweckt?«
»Yuri?« sagte die Frauenstimme.
»Ja«, gestand er, ohne sich seine Überraschung darüber anmerken zu lassen, daß die Frau seine Stimme erkannt hatte.
»Yuri, Aaron Lightner ist tot«, sagte die Frau. »Ich bin Celia, Beatrices und Monas Cousine. Aaron ist ermordet worden.«
Eine lange Pause trat ein, in der Yuri nichts tat. Er dachte nichts, stellte sich nichts vor, zog keine übereilten Schlüsse. Sein Körper war von einer kalten, schrecklichen Angst umfa n gen – von der Angst vor dem, was diese Worte bedeuteten: daß er Aaron nie, nie wiedersehen würde, daß sie nie wieder miteinander sprechen würden, daß er und Aaron – daß Aaron für immer fort war.
Als er die Lippen bewegen wollte, hatte er Mühe. Er machte irgendeine sinnlose, dumme kleine Geste mit der linken Hand: Er kniff in die Telefonschnur.
»Es tut mir leid, Yuri. Wir haben uns Sorgen um Sie gemacht. Mona ist sehr beunruhigt. Wo sind Sie? Wollen Sie Michael Curry anrufen? Ich gebe Ihnen die Nummer.«
»Ist schon in Ordnung«, sagte Yuri leise. »Ich habe die Nummer.«
»Mona ist jetzt dort, Yuri. Drüben im anderen Haus. Sie we r den wissen wollen, wo Sie sind und wie es Ihnen geht und wie man Sie am besten erreichen kann.«
»Aber Aaron…«, sagte er flehentlich und brachte nichts mehr heraus. Seine Stimme klang schwächlich in seinen eigenen Ohren; kaum drang sie unter der gewaltigen Last der Gefühle hervor, die seinen Blick vernebelten und sein Gleichgewicht ins Wanken brachten, sein ganzes Empfinden der eigenen Identität. »Aaron…«
»Er wurde überfahren, absichtlich. Er kam zu Fuß vom Pon t chartrain Hotel herunter, wo er Beatrice mit Mary Jane Mayfair zurückgelassen hatte; sie hatten Mary Jane dort im Hotel u n terbringen wollen. Beatrice wollte gerade ins Foyer gehen, als sie den Lärm hörte. Sie und Mary Jane haben mitangesehen, was passierte. Er wurde mehrmals von dem Auto überfahren.«
»Dann war es wirklich Mord«, sagte Yuri.
»Keine Frage. Sie haben den Mann gefaßt. Ein Landstreicher. Man hatte ihm Geld gegeben, aber er kennt den Mann nicht, der ihn beauftragt hat. Er hat fünftausend Dollar in bar dafür bekommen, daß er Aaron ermordet. Seit einer Woche hatte er es schon versucht. Die Hälfte des Geldes hatte er schon au s gegeben.«
Yuri wollte am liebsten auflegen. Es kam ihm unmöglich vor, dieses Gespräch fortzusetzen. Er fuhr sich mit der Zunge n spitze an der Oberlippe entlang und zwang sich dann, zu sprechen. »Celia, bitte sagen Sie Mona Mayfair und auch M i chael Curry, daß ich in England bin, in Sicherheit. Ich werde mich bald wieder bei Ihnen melden. Ich bin sehr vorsichtig. Richten Sie Beatrice Mayfair mein Beileid aus. Ich sende I h nen allen… meine Liebe.«
»Ich werde es ausrichten.«
Er legte auf; wenn sie noch etwas sagte, hörte er es nicht mehr. Jetzt war es still; die sanften Pastellfarben des Schla f zimmers lullten ihn für einen Augenblick ein. Das Licht, das den Spiegel erfüllte, war weich und schön. Jeder Duft in di e sem Zimmer war
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