Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
als er sie abgeholt hatte. »Er war nicht menschlich. Er war… er war schön und scheußlich. Die Knöchel waren enorm, und die Finger waren so lang. Das Gesicht hätte ein menschliches sein können, sicher. Ein sehr, sehr hübscher Mann. Aber es war Ashlar, Rowan, er selbst. Michael, erzählen Sie ihr die Geschichte. St. Ashlar aus der ältesten Kirche in Donnelaith. Erzählen Sie’s ihr. Oh, wenn ich doch bloß Aarons Aufzeichnungen hätte. Ich weiß, daß er welche gemacht hat. Er hat die Geschichte niedergeschrieben. Auch wenn der Orden uns exkommuniziert hat, er hätte doch nie versäumt, alles aufzuschreiben.«
    »Er hat Notizen gemacht, mein Junge, und wir haben sie«, sagte Michael. »Und ich habe ihr schon alles erzählt, was ich weiß.«
    Das hatte Michael bereits zweimal erklärt, wenn Rowan sich recht erinnerte. Die endlosen Wiederholungen und Redereien zogen sich in die Länge. Sie litt sehr unter dem Jetlag. Ihre ganze Konstitution war geschwächt, und sie war gealtert, das wußte sie jetzt mit Sicherheit, falls je eine echte Hoffnung auf das Gegenteil bestanden hatte. Gottlob hatte sie im Flugzeug geschlafen.
    Michael saß an die Armlehne einer eleganten französischen Couch gelehnt; seine Füße lagen übereinander auf den goldenen Kissen. Er hatte das Jackett ausgezogen, und sein Brustkorb in dem Rollkragenpullover sah massig aus, als wohnte darin ein Herz, das triumphierend noch fünfzig Jahre schlagen würde. Er warf Rowan einen verstohlenen, mitleidsvollen Blick zu.
    Gott sei Dank, daß du hier bist, dachte sie. Gott sei Dank. Michaels gelassene Stimme und seine Art waren mehr als beruhigend. Sie konnte sich nicht vorstellen, ohne ihn hier zu sein.
    Noch ein Taltos. Noch einer von ihnen! Gott, was für Geheimnisse birgt diese Welt, was für Ungeheuer tarnen sich in ihren Wäldern, ihren Großstädten, ihren Wildnissen, ihren Meeren? Ihr Verstand trieb seine Spaße mit ihr. Sie konnte sich Lasher nicht mehr deutlich vorstellen. Seine Gestalt war völlig unproportioniert gewesen. Seine Kraft wirkte übernatürlich. Aber so war es nicht. Diese Kreaturen waren nicht allmächtig. Sie versuchte diese schmerzhaft schrillen Erinnerungen aus ihrem Kopf zu verbannen: Lashers Finger, die ihre Arme quetschten, sein Schlag mit dem Handrücken, der sie das Bewußtsein verlieren ließ. Sie konnte den Augenblick des Abschaltens spüren, und auch den des Erwachens, als sie wie betäubt versucht hatte, unter das Bett zu kriechen, um sich dort in Sicherheit zu bringen. Aber sie mußte sich jetzt zusammenreißen, mußte sich konzentrieren und auch Yuri dazu bringen, sich zu konzentrieren.
    »Yuri«, sagte sie in ihrer überaus ruhigen und unaufdringlich respektgebietenden Art. »Beschreiben Sie noch einmal das Kleine Volk. Sind Sie sicher…«
    »Das Kleine Volk ist ein wilder Schlag«, sagte Yuri. Die Worte sprudelten aus ihm heraus, während er sich um sich selbst drehte, die Hände ausgestreckt, als halte er eine Kristallkugel, in der er die Bilder dessen sah, was er hier beschrieb. »Sie sind zum Untergang verurteilt, hat Samuel gesagt. Sie haben keine Frauen mehr. Sie haben keine Zukunft. Sie werden aussterben, wenn kein weiblicher Taltos zu ihnen kommt, wenn nicht in irgendeiner entlegenen Gegend Europas oder der Britischen Inseln eine Frau von ihrer Art gefunden wird. Und das geschieht. Hören Sie auf meine Worte: Es geschieht. Samuel hat es mir erzählt. Oder eine Hexe, verstehen Sie? Eine Hexe? Die weisen Frauen in dieser Gegend gehen niemals in die Nähe des Glen. Touristen und Archäologen kommen und gehen nur bei Tag und in Gruppen.«
    Sie hatten das schon einmal durchgesprochen, aber Rowan merkte, daß er jedesmal, wenn er davon sprach, ein neues und möglicherweise wichtiges Detail hinzufügte.
    »Natürlich hat Samuel mir das alles nur erzählt, weil er dachte, ich würde in dieser Höhle sterben. Als das Fieber nachließ, war er ebenso überrascht wie ich. Und dann Ash. Ash ist frei von jeglicher Doppelzüngigkeit. Man kann sich nicht vorstellen, wie offen und unverstellt dieses Wesen ist. Kein Mensch könnte so geradlinig sein, es sei denn, er wäre ein Idiot. Und Ash ist kein Idiot.«
    »Dann hat er also nicht gelogen, als er Ihnen gesagt hat, er will Ihnen helfen.« Rowan beobachtete ihn scharf.
    »Nein, er hat nicht gelogen. Und er will die Talamasca beschützen. Warum, das kann ich Ihnen nicht sagen. Es hat etwas mit der Vergangenheit zu tun, vielleicht mit den Archiven, den Geheimnissen, auch

Weitere Kostenlose Bücher