Die Mayfair-Hexen
wenn niemand weiß, was sich wirklich in den Archiven befindet. Oh, wenn ich nur darauf vertrauen könnte, daß die Ältesten nicht dazugehören. Aber eine Hexe… verstehen Sie nicht – eine Hexe, so mächtig wie Mona, ist einfach zu wertvoll für Ash und für Samuel. Ich hätte ihnen niemals, niemals von Mona erzählen dürfen. Oh, es war so dumm von mir, ihnen alles über die Familie zu erzählen. Aber dieser Samuel, wissen Sie, der hat mir das Leben gerettet.«
»Aber hat denn dieser Taltos gesagt, daß er keine Partnerin hat?« fragte Michael. »Falls ›Partnerin‹ das richtige Wort dafür ist.«
»Das war ganz offensichtlich. Er ist hergekommen, weil Samuel ihm berichtet hat, daß ein Taltos, Lasher – mit Ihnen, Rowan! – in Donnelaith aufgetaucht war. Ash ist sofort hergekommen, von irgendwo weit her, ich weiß nicht, woher er kommt. Ash ist reich. Er hat Bodyguards und Bedienstete und reist in einem kleinen Konvoi. Sagt Samuel jedenfalls. Samuel redet eigentlich mehr, als gut für ihn ist.«
»Aber von einem weiblichen Taltos hat er nichts gesagt?«
»Nein. Beide machen den Eindruck, daß sie nichts von der Existenz eines weiblichen Taltos wissen. Rowan, verstehen sie doch: Das Kleine Volk stirbt, und der Taltos ist so gut wie ausgestorben! Gott, es könnte sein, daß Ash der einzige ist, der noch lebt, nachdem Lasher nicht mehr da ist. Stellen Sie sich das vor! Ist Ihnen klar, was Mona für die beiden bedeutet?«
»Okay, wollen Sie meine Meinung hören?« Michael griff nach der Kaffeekanne, die neben ihm auf einem Tablett stand, und füllte seine Tasse; er hielt sie wie einen Becher in der Hand, ohne Untertasse. »Was Ashlar und Samuel angeht, haben wir getan, was wir können.« Er sah Rowan an, während er sprach. »Vielleicht haben wir eine Chance von eins zu zehn, sie im Claridge’s ausfindig zu machen, obwohl -«
»Nein, Sie dürfen sich ihnen nicht nähern«, unterbrach Yuri. »Sie dürfen sie nicht mal wissen lassen, daß Sie hier sind. Sie ganz besonders nicht.«
»Ja, das verstehe ich.« Michael nickte. »Aber…«
»Nein, Sie verstehen es nicht«, sagte Yuri. »Oder Sie glauben mir nicht. Michael, diese Kreaturen erkennen eine Hexe, wenn sie eine sehen, ob männlich oder weiblich. Sie wissen es. Sie brauchen keine modernen medizinischen Tests, um zu wissen, daß Sie die Chromosomen haben, die so wertvoll für sie sind. Sie erkennen Sie, vielleicht am Geruch und bestimmt an der Erscheinung.«
Michael zuckte knapp die Achseln, als wolle er sich sein endgültiges Urteil darüber noch vorbehalten, aber die Sache jetzt nicht weiter verfolgen.
»Okay. Dann gehe ich jetzt also nicht hinüber ins Claridge’s. Aber es fällt mir schrecklich schwer, Yuri. Ich meine, Sie sagen mir, daß Ash und Samuel keine fünf Minuten von hier entfernt im Hotel sind.«
»Gott, ich hoffe, daß sie da nicht mehr sind. Und ich hoffe, daß sie nicht nach New Orleans gefahren sind. Warum habe ich es ihnen nur erzählt? Warum war ich nicht klüger? Warum war ich in meiner Dankbarkeit und Angst nur so dumm?«
»Hören Sie auf, sich deshalb Vorwürfe zu machen«, sagte Rowan.
»Die Wachen in New Orleans wurden vervierfacht«, sagte Michael. Seine entspannte Haltung hatte sich nicht geändert. »Lassen wir das Thema Ashlar und Samuel für den Augenblick beiseite, und wenden wir uns noch einmal der Talamasca zu. Wir waren dabei, eine Liste der ältesten Mitglieder in London anzufertigen, von denen, die entweder vertrauenswürdig sind oder ganz sicher gemerkt haben müssen, daß etwas faul ist.«
Yuri seufzte. Er stand vor einem kleinen Satinsessel am Fenster, der mit dem gleichen intensiv schillernden Moire bezogen war, aus dem auch die Vorhänge bestanden. Er ließ sich auf die Sesselkante fallen, schlug die Hände vor den Mund und atmete langsam aus. Sein Haar war zerzaust.
»Okay«, sagte Yuri. »Die Talamasca. Meine Zuflucht, mein Leben. Ach, die Talamasca.« Er zählte an den Fingern der rechten Hand ab. »Wir hatten Milling. Er ist ans Bett gefesselt, und man kommt nicht an ihn heran. Ich will ihn nicht mit einem Anruf beunruhigen. Dann war da… da war…«
»Joan Cross«, sagte Michael. Er nahm den gelben Schreibblock vom Couchtisch. »Ja, Joan Cross. Fünfundsiebzig Jahre alt, invalide. Rollstuhl. Hat es wegen ihrer arthritischen Verkrüppelung abgelehnt, Generaloberin zu werden.«
«Nicht einmal der Teufel persönlich könnte Joan Cross unterwandern«, sagte Yuri, und die Worte sprudelten schneller
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