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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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gepreßter Stimme. »Fahren Sie geradeaus weiter, bis ich Ihnen etwas anderes sage.«
    Der alte Mann schaute hinaus, als wollte er ihre Position überprüfen, aber dann schlug seine Stirn hart gegen die Fensterscheibe, und er fing an zu weinen.
    Niemand sprach. Ash betrachtete seine Hexen. Dann dachte er an das Foto der Rothaarigen, und als er den Blick auf Yuri richtete, der ihm gegenüber neben Rowan saß, sah er, daß er die Augen geschlossen hatte. Er hatte sich an der Seitenwand zusammengekrümmt und den Kopf abgewandt, und auch er vergoß Tränen, ohne daß man es hörte.
    Ash beugte sich vor und legte Yuri tröstend eine Hand aufs Bein.

 
14

    Es war gegen ein Uhr, als Mona im vorderen Schlafzimmer im ersten Stock aufwachte; ihr Gesicht war den Eichen vor dem Fenster zugewandt. Die Äste waren voll von leuchtendem Auferstehungsfarn, der nach dem letzten Frühlingsregen seine hellgrüne Farbe wiedergewonnen hatte.
    »Telefon für dich«, sagte Eugenia.
    Beinahe hätte Mona gesagt: Gott, bin ich froh, daß jemand hier ist. Aber sie wollte nicht gern zugeben, daß es sie hier in diesem berühmten Haus gegruselt hatte und daß ihre Träume sie zutiefst beunruhigt hatten.
    Eugenia warf einen mißtrauischen Blick auf Monas weites, wehendes weißes Baumwollhemd. Was war denn? So was war schließlich Hauskleidung, oder?
    »Solltest aber nicht in deinen hübschen Sachen schlafen!« erklärte Eugenia. »Guck doch – die schönen weiten Ärmel ganz zerknautscht, und die Spitze, die feine Spitze!«
    Wenn sie nur sagen könnte: Hau ab. »Eugenia, das soll zerknautscht aussehen.«
    Eugenia hatte ein großes Glas Milch in der Hand, beschlagen und appetitlich aussehend, und in der anderen einen kleinen Teller mit einem Apfel.
    »Von wem ist das?« fragte Mona. »Von der bösen Königin?«
    Natürlich wußte Eugenia nicht, wovon sie redete, aber das war nicht wichtig. Eugenia deutete noch einmal auf das Telefon. Mona wollte den Hörer abnehmen, als ihre Gedanken noch einmal zu dem Traum zurückschwenkten und sie feststellen mußte, daß der Traum verflogen war. Wie ein Schleier, den man weggerissen harte, hinterließ er nichts als eine matte Erinnerung an Beschaffenheit und Farbe. Und die höchst seltsame Gewißheit, daß sie ihre Tochter Morrigan nennen müsse, obwohl sie diesen Namen noch nie gehört hatte.
    »Und was ist, wenn du ein Junge bist?« fragte sie.
    Sie nahm den Hörer ab.
    Es war Ryan. Die Beerdigung war vorbei, und die Mayfairs trudelten bei Bea zu Hause ein. Lily würde ein paar Tage dort wohnen bleiben, und Shelby und Tante Vivian ebenfalls. Cecilia war in der Vorstadt und besuchte die uralte Evelyn; ihr ging es gut.
    »Könntest du Mary Jane Mayfair für eine Weile ein bißchen altmodische First-Street-Gastfreundschaft gewähren?« fragte er dann. »Ich kann sie erst morgen nach Fontevrault bringen.«
    »Bring sie rüber«, sagte Mona. Die Milch schmeckte gut! Es war ungefähr die kälteste Milch, die sie je getrunken hatte, und diese Kälte verdeckte alles Schleimige daran, das sie nie besonders gemocht hatte. »Ihre Gesellschaft ist mir sehr willkommen«, fügte sie hinzu. »Das Haus ist wirklich unheimlich; du hast schon recht.«
    Sofort bereute sie, daß sie zugegeben hatte, daß sie, Mona Mayfair, sich in dem großen Haus gefürchtet hatte.
    Aber Ryan war ganz mit seinen organisatorischen Pflichten beschäftigt und erläuterte nur, daß die Großmutter, Granny Mayfair, unten in Fontevrault von dem kleinen Jungen aus Napoleonville versorgt wurde und daß dies eine gute Gelegenheit sei, Mary Jane davon zu überzeugen, daß sie aus dieser Ruine ausziehen und in die Stadt umsiedeln müsse.
    »Das Mädchen braucht die Familie. Aber sie braucht vorläufig nicht noch mehr Schmerz und Elend. Ihr erster wirklicher Besuch war aus naheliegenden Gründen eine Katastrophe. Sie steht immer noch unter Schock nach diesem Unfall. Du .weißt, daß sie den Unfall mitangesehen hat. Ich will sie von hier wegbringen…«
    »Gut, aber hinterher wird sie sich allen um so enger verbunden fühlen«, sagte Mona achselzuckend. Sie nahm einen großen, saftigen, krachenden Bissen von ihrem Apfel. Mein Gott, sie war so hungrig. »Ryan, hast du den Namen Morrigan schon mal gehört?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Es hat noch nie eine Morrigan Mayfair gegeben?«
    »Nicht, daß ich wüßte. Es ist ein alter englischer Name, nicht wahr?«
    »Hmmm. Findest du ihn hübsch?«
    »Was ist, wenn das Baby ein Junge ist, Mona?«
    »Ist es nicht.

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