Die Medica von Bologna / Roman
Ich finde, das ist das Mindeste, was er tun kann.«
Gaspare schüttelte nachsichtig den Kopf. »Nun bist du aber zu streng, Bleiweißmädchen. Du hast ihm einen Gefallen getan, und damit mir. Ich danke dir. Ich danke dir sogar sehr, das muss dir genügen.«
Ich dachte an die Gefahren, die ich im pestverseuchten Venedig durchgestanden hatte, an das tausendfache Sterben und das grenzenlose Elend, das ich gesehen hatte, die Not, die Trauer, die Verzweiflung, nur um jetzt mit einem kurzen Dank abgefertigt zu werden. »Du meinst, es passt nicht, wenn ich dazukomme?«
Er lachte. »So kann man das nicht sagen. Aber überlege doch einmal. Da drinnen wird ausgelassen gefeiert, und du kämst in Straßenkleidung hinein, gingst schnurstracks zu Ulisse und wolltest einen offiziellen Dank. Das passt doch nicht zusammen, das geht doch nicht.«
»Dann hol ihn her.«
»Bleiweißmädchen, versetz dich bitte in meine Lage. Ich bin der Gastgeber und muss alles dafür tun, damit Ulisse einen gelungenen Abend verlebt, zumal ich ihn als Förderer zur Aufnahme in das hochangesehene Kollegium für Medizin und Philosophie brauche.
Manus manum lavat,
du verstehst?«
Ich verstand gar nichts. Ich verstand nur, dass ich an jenem Abend nicht willkommen war, ein fünftes Rad am Wagen, und ich spürte, wie der Ärger in mir hochstieg. »Ich habe verstanden«, sagte ich. »Leb wohl.«
Ich machte auf dem Absatz kehrt und eilte nach Hause.
Meine Laune wurde auch nicht besser, als ich heimkam und feststellte, dass Latif zwar eingekauft, aber nichts für das Abendessen vorbereitet hatte. »Was hast du eigentlich den ganzen Tag gemacht?«, fuhr ich ihn nicht eben freundlich an.
»Ich habe eingekauft, Herrin.«
»Das sehe ich. Und sonst?«
»Gebetet.«
»Soviel ich weiß, musst du nur fünfmal am Tag beten. Was hast du in der restlichen Zeit gemacht?«
»Ich habe die Händler und die Nachbarn kennengelernt und mit einer Menge anderer Menschen gesprochen. Sie waren alle sehr nett, nachdem ich ihnen gesagt hatte, dass wir vom Dogen Venedigs reich beschenkt wurden und nicht unvermögend sind.«
»Was, du hast ihnen auf die Nase gebunden, dass wir …?«
»Aber natürlich, Herrin. Wer Geld hat, hat Ansehen. Und ich möchte der angesehensten Signorina von ganz Bologna dienen.«
Er sagte das so feierlich ernst, dass ich unwillkürlich lachen musste. »Du bist unmöglich, Latif.«
»Das kann schon sein, Herrin. Aber ich habe Euch zum Lachen gebracht. Ein guter Diener bringt seine Herrschaft zum Lachen.«
Am anderen Tag war Sonntag, der siebte Tag der Woche, an dem die Arbeit ruhen sollte. Aber niemand in Bologna dachte an Ruhe, denn
carnevale
beherrschte die Stadt.
Carnevale
ist ein menschlicher Ausnahmezustand und in allen Lebensbereichen das genaue Gegenteil grauer Arbeitstage – die Zeit im Jahr, in der Verschwendung statt Sparsamkeit regiert, die Zeit der Unmäßigkeit, nicht nur bei leiblichen Genüssen, sondern auch bei Begierden sündiger Art. Das Wort Karneval kommt von
carne,
was Fleisch bedeutet und gleichermaßen die Esslust wie die Fleischeslust meint, mit anderen Worten: Sinnesfreuden und Sinnestaumel, die ihre Buße in der darauffolgenden Entsagung finden.
Das alles erklärte ich Latif, und er sagte: »Auch wir Muslims kennen eine Zeit des Entsagens, Herrin, den Fastenmonat Ramadan. Doch leider geht ihm kein tolles Treiben voraus. Allah hat uns verpflichtet, das ganze Jahr über mäßig zu essen und keinen Alkohol zu trinken und in der Morgendämmerung, sobald ein weißer von einem schwarzen Faden unterschieden werden kann, mit dem Fasten zu beginnen.«
»Das kannst du gerne weiter so halten«, antwortete ich, »aber wenn du in Bologna lebst, solltest du auch den Karneval kennen. Du musst ihn dir vorstellen wie ein großes Spiel, bei dem das Unterste zuoberst gekehrt wird. Die Straßen und Plätze werden zu Bühnen, die Innenstadt zu einem öffentlichen Theater, und die Bolognesi, Darsteller wie Zuschauer, beobachten die Narreteien von den Balkonen der angrenzenden Häuser aus.«
»Oh, Herrin, wollt Ihr damit sagen, dass wildfremde Menschen in unser Haus kommen und von unserem Balkon aus das Geschehen verfolgen werden?«
»Wohl kaum.« Ich musste ob seiner Bestürzung lächeln. »Wir wohnen in unmittelbarer Nähe der Stadtmauer, wohin die großen Umzüge niemals kommen. Hier ist es ruhiger, erst nach ein paar hundert Schritten stadteinwärts belebt sich die Strada San Felice.«
»Allah, dem Weltenklugen, sei
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