Die Medica von Bologna / Roman
gen Himmel zu schicken, in dem ich Gottes Beistand für unser Vorhaben erflehte. In der Tat schien der Allmächtige meine Worte vernommen zu haben, denn wenig später hatten wir keinerlei Schwierigkeiten, den Wagen zu erklimmen und uns unter den wärmenden Ballen zu verstecken. Ich fand sogar ein wenig Schlaf, denn als ich aufwachte, war es Tag, wie an den wenigen Lichtstrahlen, die sich ihren Weg zwischen den Ballen hindurch bahnten, zu erkennen war. Der Wagen rumpelte stetig voran, ab und zu hörte ich eine Peitsche knallen, unterbrochen von Pferdewiehern und knappen Befehlen. Wir hatten die Stadt unbemerkt verlassen und waren unterwegs!
Latif schien noch zu schlafen, denn als ich ihn anstieß, gab er nur einen unterdrückten Laut von sich. Dann gähnte er ausgiebig. »Sind wir schon auf dem Weg, Herrin?«
Ich drückte seinen Arm, was so viel wie ja bedeuten sollte. Jedes Wort konnte uns verraten und vielleicht dem Henker ausliefern. So schwiegen wir beide, zur Untätigkeit verdammt. Mit fortdauernder Fahrt wurde mir die Zeit lang, die Gliedmaßen schliefen mir ein, ich verspürte Hunger und das Bedürfnis, mich zu waschen.
Latif neben mir musste es ebenso ergehen, denn ich kannte ihn und seinen Wunsch nach Reinlichkeit. Sicher vermisste er auch die Zwiesprache mit Allah und seinen Gebetsteppich. Mir fiel ein, dass ich den Kelim immer noch um den Leib geschlungen trug, und nahm mir vor, ihn meinem Diener bei nächster Gelegenheit zurückzugeben.
Gegen Mittag blieb unser Gefährt abrupt stehen. Wir hörten Geräusche, denen wir entnahmen, dass die Pferde ausgeschirrt und fortgeführt wurden. Schritte entfernten sich. Irgendeine Stimme verkündete, man sei in San Lazzaro und wolle rasten und ein Mittagsmahl einnehmen.
»Das ist die Gelegenheit, Herrin«, flüsterte Latif an meinem Ohr. »Die Luft ist rein. San Lazzaro liegt ein gutes Stück entfernt von Bologna, wenn auch nicht auf dem direkten Weg nach Süden. Kommt, wir steigen aus.«
Mit pochendem Herzen kletterten wir aus dem Wagen, blickten uns um und gingen dann, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, zu einem nahe gelegenen Gehölz, um darin unterzutauchen.
Niemand bemerkte uns.
So begann unsere gemeinsame Wanderschaft nach Süden. Wir trugen einfache Kleidung, wie man sie beim Volk sieht: Latif eine derbe Hose und eine große, erdfarbene Jacke über einem Leinenhemd mit Holzknöpfen, ich einen knöchellangen dunklen Wollrock, darüber ebenfalls ein Leinenhemd und darüber ein enggewickeltes Brusttuch. Auf dem Kopf trugen wir beide ein Barett, ohne schmückendes Beiwerk wie Agraffen oder Federn. Mein Feuermal, üblicherweise durch einen Schleier oder meine Maske verdeckt, tarnte ich, indem ich ockerfarbene Schminke auflegte. Es fiel mir nicht immer leicht, die Täuschung aufrechtzuerhalten, ebenso, wie Latif häufig Schwierigkeiten hatte, seinen Gebetsteppich an passender Stelle auszurollen und sich gen Mekka zu verneigen.
Wir gingen fernab der großen Straßen, auf Waldwegen oder Schleichpfaden. Wir mieden Straßen und Dörfer und passierten auf diese Weise Quarto, Frontino, Pianello, Cacciampone und Montesanto.
In Borbona, einem lieblichen kleinen Bergdorf, wagten wir es zum ersten Mal, auf den Marktplatz zu gehen, um uns dort Wegzehrung zu kaufen. Es war ein wunderbares Gefühl, einfach auf das Gewünschte zeigen zu können, nachdem wir uns wochenlang mit dem auf einsamen Bauernhöfen Erbettelten zufriedengeben mussten. Wir erwarben frisches Brot, Käse, Äpfel und köstliche Oliven und setzten uns mit unseren Schätzen auf die Markteinfriedung, um nach Herzenslust zu schmausen.
Niemand beachtete uns, nur ein alter Hund strich hungrig um uns herum. Weil alles so friedlich wirkte, sagte ich nach einer Weile zu Latif: »Wir sind schon Hunderte von Meilen gegangen, Bologna kommt mir inzwischen vor, als läge es weiter entfernt als der Mond. Wollen wir nicht etwas länger bleiben? Ich bin sicher, der Arm des Häschers Helvetico reicht nicht bis Borbona, und die Werke des Hexenjägers Girolamo Menghi dürften hier gänzlich unbekannt sein.«
»Das will gut bedacht werden, Herrin«, sagte Latif. »Ich … au!« Er riss die Augen auf und starrte auf seine leere Hand. Der alte Hund hatte ihm das Brot weggeschnappt und trabte mit dem Bissen davon. Latif unterdrückte einen Fluch und sprang von der Einfriedung herab, um den Räuber zu verfolgen. Er hätte genauso gut dem Tier seine Beute lassen können, denn es war noch genügend Brot
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