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Die Medizinfrau

Die Medizinfrau

Titel: Die Medizinfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Carmichael
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viel davon, sich einzumischen, aber er hatte auch eine Schwäche für Verlierer. Diese Schwäche hatte ihn schon mehrmals in Schwierigkeiten gebracht, und Gabe schätzte, daß sie ihn auch diesmal in Schwierigkeiten bringen würde. Der Neuling war jung und naiv, und sein Peiniger war ein Falschspieler und ein Scheißkerl.
    »Warum suchst du dir nicht einen, der mit den gleichen üblen Tricks pokert wie du, Kyle?« Gabe hatte mit gleichmütiger Stimme gesprochen, und alle Blicke wandten sich ihm zu.
    Kyles Augen verengten sich. »Ire, wie?«
    Gabe hob sein Glas und nickte ihm zu.
    »Behauptest du, ich hätte falsch gespielt?«
    »Du hast lausig falsch gespielt.«
    »Das ist eine Aufforderung zum Kampf, Ire.«
    Alle Gäste hielten erwartungsvoll die Luft an. Gabe seufzte. So endete es jedesmal. Eines Tages würde er lernen, sich um seinen eigenen Kram zu kümmern. »Im Augenblick habe ich nichts Besseres vor.« Er stand auf und rollte die Ärmel hoch.
    Die Gäste feuerten Kyle begeistert an, der sich auf Gabe stürzte. Es ging doch nichts über eine schöne Rauferei, um einen eintönigen Nachmittag aufzumöbeln. Nach kaum einer Minute hatte jeder Gast Partei ergriffen und stürzte sich ins Vergnügen. Es wäre ja auch ein ausgemachter Blödsinn, einem fiesen Falschspieler und einem dreisten Iren den ganzen Spaß allein zu überlassen.

Kapitel 2
    »Ich bin so satt, ich platze gleich.«
    Stolz betrachtete Sylvester Talbot seine Frau, die den letzten Bissen ihres Aprikosenkuchens hinunterschluckte. »Hat’s geschmeckt?«
    Amy seufzte. »Es war köstlich.« Sie warf Olivia einen schuldbewußten Blick zu, die schweigend an ihrer Teetasse nippte. »Ich weiß, ich habe versprochen, nur heiße Schokolade zu trinken, aber der Kuchen sah einfach zu verführerisch aus.«
    »Dein Appetit macht aus dir noch eine Tonne.«
    Amy errötete, und Sylvester machte ein erschrockenes Gesicht.
    »Wirklich, Amy. Du solltest das essen, was dir Kraft gibt, ohne dich mit zusätzlichem Gewicht zu belasten.«
    »Ja, liebste Olivia. Ich weiß. Wenn ich hungrig bin, denke ich mit dem Bauch statt mit dem Kopf.«
    »Die Geburt verläuft wesentlich einfacher, wenn du Muskeln aufbaust statt Fett. Wenn du so weiter ißt, bis das Baby im Februar zur Welt kommt, bist du fett wie eine Mastkuh.«
    Olivia bemerkte, wie Sylvesters Gesicht rosig anlief und er aussah, als würde sein steifer, enger Kragen gleich platzen. Ihre unverblümten Worte waren ihm sichtlich peinlich. Er gehörte zu den Männern, die der Meinung waren, Frauen müßten in Verhalten und Redeweise stets sittsam und zurückhaltend sein. Doch die gute Amy brauchte dringend jemand, der sie nicht nur verwöhnte. Sylvester war so besorgt um seine schwangere Frau, daß er sie wie ein zerbrechliches Porzellanpüppchen behandelte.
    Sylvester räusperte sich verlegen. »Seid ihr sicher, daß ich nicht den Einspänner holen soll, um euch nach Hause zu kutschieren?«
    »Sei nicht albern, Sylvester. Es ist keine halbe Meile bis zum Haus. Amy und mir tut etwas Bewegung gut.«
    Sylvester machte ein zweifelndes Gesicht.
    »Wirklich, Sylvester. Amy ist nicht krank. Sie ist so gesund wie du und ich. Wenn wir sie zu sehr verhätscheln, werden die letzten Monate nur schlimmer für sie.«
    »O nein, ich will nicht verhätschelt werden«, erklärte Amy bestimmt. »Ich will nur ein gesundes Baby zur Welt bringen.«
    »Bravo! Dann laß uns gehen! Es wird bald dunkel.«
    Amy warf einen verstohlenen Blick auf die Krümel auf dem Kuchenteller.
    »Amy!« schalt Olivia.
    »Ich komme. Ich komme.«
    Die Sonne stand bereits tief, als das Trio aus dem Grand Hotel auf die Hauptstraße trat. Olivia zog ihren Mantel enger um die Schultern gegen die Kälte und dachte wieder einmal, was für ein gottverlassenes Nest dieses Elkhorn doch war. Das karstige Land stand im krassen Gegensatz zu den grünen Hügeln, die es umgaben. Das Tal des Elkhorn Creek war einst üppig grün und fruchtbar, doch die Gier der Menschen nach Gold und Silber hatte fürchterliche Verwüstungen angerichtet. Die Fichtenwälder waren kahl geschlagen. Das Holz wurde gebraucht, um die Erzmühle zu errichten, die wie ein häßliches Monster am Bachufer kauerte. Auch für Hotels, Kneipen, Spielhöllen, Bordelle, Ladengeschäfte und die Hütten der Bergarbeiter wurde Holz gebraucht. Später kam das Gebäude der Freimaurerloge hinzu, dann das Haus der Bergwerkszunft, der Friseur, die Konditorei, der Juwelier und das Schulhaus. Nun lag das Land um Elkhorn kahl

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