Die Medizinfrau
Katy bewirkte. Es betonte ihre schmale Taille und ihre knospenden Brüste. Das lichte Blau hob ihr glänzendschwarzes Haar hervor, die lebhaften grünen Augen und den seidigen Olivton ihres Teints. Nur ihre klotzigen Stiefel paßten nicht recht zur mädchenhaften Erscheinung.
»Du siehst toll aus«, rief Olivia begeistert aus. Zum ersten Mal sah sie Katy frisch gewaschen, mit sauberen Fingernägeln und gekämmtem Haar.
»Ich sehe doof aus«, widersprach Katy.
»Du siehst aus wie ich«, meinte Ellen mit einem spitzbübischen Lächeln.
»Sag ich doch. Ich sehe doof aus.«
»Dein Vater wird Augen machen.«
»Er darf mich nicht in diesem Fummel sehen!«
»Moment, kleines Fräulein! Wir haben uns nicht die ganze Mühe gemacht, damit du jetzt feige davonläufst.«
»Ich bin noch nie feige davongelaufen. Aber ich sehe …«
»Du siehst aus wie ein hübsches, junges Mädchen. Ellen und ich haben zur Feier des Tages ein köstliches Essen gekocht.«
Katy brummte.
»Du versteckst dich oben im Speicher, bis Pa kommt«, befahl Ellen.
»Und ihr nehmt mir bestimmt meine Hosen nicht weg?«
»Sie liegen zusammengefaltet auf deinem Bett«, versicherte Olivia. »Du kannst sie anziehen, wann immer du willst.«
»Na gut. Ich zeige es Papa, und dann ziehe ich mich gleich wieder um.« Katy raffte das Kleid ungelenkt mit einer Hand und kletterte die Leiter hinauf, verfing sich im Rock und fluchte.
»Eine Dame flucht nicht«, rief ihr Ellen schnippisch hinterher.
Olivia legte einen Arm um Ellens Schultern. »Eins nach dem anderen, mein Kind. Eins nach dem anderen.«
Die Sonne war längst untergegangen, als Gabe aus dem Stollen kroch und auf die Hütte zuging. Im Schacht war es warm im Vergleich zur eisigen Nachtluft, die ihn empfing. Der Schweiß fror an seinen Kleidern fest, bevor er die Hütte erreicht hatte. Er war dreckverkrustet, und sein eigener Gestank stieg ihm in seine halb erfrorene Nase. Vielleicht sollten ihm die Zwillinge die Wanne vom Speicher holen, Olivia Wasser heiß machen, und er würde sich in ein heißes Bad setzen. Olivia könnte ihm den Rücken schrubben.
Dabei kamen ihm ein paar hübsche Gedanken, was Olivia noch alles mit ihm anstellen könnte. Wie angenehm, wenn nach einem langen, harten Arbeitstag eine Frau zu Hause wartete, mehr als angenehm, es wurde zur Sucht.
Olivia und Ellen empfingen ihn mit strahlendem Lächeln an der Tür und weckten umgehend sein Mißtrauen. Da war etwas am Kochen, nicht nur das Abendessen.
»Du bist spät dran, Pa!«
»Ja. Heute habe ich fünf Ladungen rausgeschafft.«
»Gütiger Himmel, bist du verdreckt, Gabriel!«
»Ich grabe ja auch im Dreck herum wie ein Maulwurf. Was erwartest du?«
»Vielleicht willst du ein Bad nehmen und dich vor dem Abendessen umziehen. Ellen, bring deinem Vater saubere Sachen.«
»Doc, du kannst Gedanken lesen.«
Olivia lächelte. Gabe hätte am liebsten Bad und Abendessen sausen lassen und wäre umgehend mit ihr ins Bett gestiegen.
»Und wenn du Gedanken lesen kannst«, fuhr er im Flüsterton fort: »Dann wirst du gleich rot bis unter die Haarwurzeln.«
»Benimm dich«, schalt Olivia. »Deine Töchter haben eine Überraschung für dich.«
»Und was könnte das sein?«
»Das wirst du rechtzeitig herausfinden.«
»Nicht mal ein kleiner Tip?«
»Ich bin keine Spielverderberin. Wir Frauen halten zusammen.«
Ellen kam mit frischen Kleidern angelaufen und schob die Blechwanne vor das Kaminfeuer. »Beeil dich, Pa. Das Essen ist gleich fertig.«
Ellen kletterte die Leiter nach oben, und Gabe schälte sich aus seinen verdreckten Sachen. »Ob du mir vielleicht helfen könntest?« fragte er unschuldig.
Olivia warf ihm einen nachsichtigen Blick zu und schüttete das Wasser aus dem Kessel in die Wanne, dann stieg auch sie die Leiter nach oben. »Du bist alt genug, um alleine zu baden. Und beeil dich ein bißchen, sonst holt Ellen dich raus.«
»Wo ist Katy?«
»Auf dem Dachboden mit Ellen.«
»Was habt ihr drei da oben ausgeheckt?«
»Das wirst du schon sehen.«
Seine Töchter hatten also eine Überraschung für ihn. Gabe setzte sich in die dampfende Badewanne. Was mochte es diesmal sein? Normalerweise sorgte Katy für Überraschungen – wie damals, als sie sich die Haare abgeschnitten hatte; oder als sie den Igel heimgeschleppt hatte und unbedingt behalten wollte. Die Krönung ihrer Taten war natürlich der Tag, an dem sie den Strick durchgeschossen, ihn vor dem Erhängen gerettet hatte und über den Wasserfall gesprungen war,
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