Die Medizinfrau
Boden. Der Gewaltausbruch war wohltuend. Das ängstliche Erstaunen im Gesicht der Ärztin, mit dem sie das Loch im Verputz der Wand anstarrte, war gleichfalls wohltuend. Die Bitterkeit in seinem Inneren drohte ihn zu ersticken.
»Ich muß Sie vermutlich auf andere Weise überzeugen.« Gabe zog die Pistole und richtete sie auf die kleine Frau. Sie wich entsetzt zurück, als könne sie dadurch der Kugel entgehen. Er trat auf sie zu, bis sie an der Wand stand, und drückte ihr den Lauf in die Rippen, direkt unter dem Brustbein. »Katy und Ellen werden nicht sterben, weil niemand es für nötig hält, sich um sie zu kümmern. Sie kommen mit mir.«
»Mr. Danaher, das ist Wahnsinn.« Ihre Augen wirkten sehr groß in dem bleichen Gesicht.
»Wahnsinn oder nicht. Ich tue alles, um ihnen eine Chance zu geben, gesund zu werden. Holen Sie Ihre Arzttasche. Und wenn Sie Kleider zum Wechseln mitnehmen wollen, sorgen Sie dafür, daß das nicht länger als fünf Minuten dauert. Und tun Sie nichts, was wir beide bereuen würden.«
Er trat zwei Schritte zurück. Der Pistolenlauf war immer noch auf sie gerichtet. Die kleine Frau Doktor gab sich sichtlich Mühe, die Fassung zu bewahren. Gabe empfand einen Anflug von Bewunderung für ihre Haltung, bei aller Wut, die in seinem Innern kochte.
»Ich kann nicht mit Ihnen kommen. Ich glaube nicht, daß Sie mich erschießen würden. Mich zu töten, würde Ihren Mädchen auch nichts helfen.«
Gabe lachte böse in sich hinein. »Nein. Aber ich würde mich vielleicht besser fühlen. Nun holen Sie, was Sie brauchen, oder Sie werden feststellen, daß ich gemeiner bin, als Sie glauben.«
Ihr Fluchtversuch kam für Gabe überraschend. Er hatte sie unterschätzt. Sie hatte Mut, und sie war schnell, aber nicht schnell genug. Er packte sie, bevor sie die Haustür erreicht hatte.
»Au! Lassen Sie mich …!«
Olivia stieß nur einen Schrei aus, bevor Gabes Hand ihr den Mund zuhielt. Doch es war ein lauter Schrei. Er wirbelte sie zu sich herum und hielt sie mit einem Arm um ihre schmale Taille fest. Für eine so zierliche Frau war sie ziemlich stark, und sie kämpfte wie ein Karnickel in der Falle.
»Beruhigen Sie sich, Doc. Sonst muß ich Ihnen eine Narkose mit einem Schlag auf Ihren Kopf verpassen. Schalten Sie Ihren Verstand ein, und seien Sie still.«
Ihr Widerstand erlahmte, und allmählich wurden ihre Atemzüge normal. Gabe spürte den Anflug von Schuldbewußtsein. Ihre schmale Taille und die zarten Kurven ihrer Brüste erinnerten ihn unangenehm daran, daß sie eine Frau war – eine schwache Frau noch dazu – die ihm völlig unterlegen war. Andererseits war sie Ärztin, und er würde sie zwingen, seinen Mädchen zu helfen, ob ihr das paßte oder nicht.
Von draußen war nichts zu hören. Kein Bürger der schlafenden Stadt hatte Olivias Schrei gehört.
»Sind Sie endlich zur Vernunft gekommen?«
Auf ihr zögerndes Nicken gab er sie frei. »Holen Sie Ihre Arzttasche.« Als sie sich nicht rührte, machte er eine auffordernde Bewegung mit der Pistole. »Vorwärts!«
Sie holte eine Ledertasche, die hinter dem Schreibtisch stand. »Das ist ein Verbrechen, Mr. Danaher.«
»Nehmen Sie einen Mantel. Es ist kalt.«
»Ich könnte Sie anzeigen.«
»Ziehen Sie den Mantel an. Und Handschuhe. Sonst erfrieren Sie, bevor wir an der Hütte sind.«
Mit einem angeekelten Seufzer gehorchte sie. Er nahm das Laken von der Pritsche und riß es in Streifen, um ihre Hände zu fesseln.
»Das ist nicht nötig. Ihre höflichen Bitten haben mich überzeugt.«
»Sie haben eine spitze Zunge, Doc. Ich rate Ihnen, sie in Zaum zu halten.« Er nahm die Tasche und löschte die Lampe. »Los jetzt. Wir haben einen langen Ritt vor uns.«
Die kalte Novemberluft schlug Olivia entgegen, als Gabe sie hinter sich aus der Hintertür zog. Hoch über den Bergen stand eine fahle Mondsichel in der schwarzen Nacht.
»Soll ich die Tür abschließen?« fragte Gabe.
Die Frage wirkte übertrieben höflich unter den gegebenen Umständen. »Ähnlich sinnvoll wäre es, den Stall zu verriegeln, nachdem die Kuh gestohlen wurde.«
Er versperrte die Tür dennoch.
»Gefallen Sie sich in der Rolle des Entführers?«
Ihrer Frage folgte eine gespannte Stille. Dann entgegnete er mit ruhiger, fester Stimme: »Wie gesagt, ich tu alles, um meinen Mädchen eine Chance zu geben.«
»Und ich sage Ihnen nochmal, das ist Wahnsinn.«
»Und ich sage Ihnen nochmal, Doc, Sie kommen mit mir, und wenn ich Sie wie einen Mehlsack auf den Sattel binden
Weitere Kostenlose Bücher