Die Medizinfrau
muß. Wenn Sie vernünftig sind, ersparen Sie uns beiden sehr viel Ärger.«
»Ich verspreche Ihnen, daß Sie mit mir mehr Ärger bekommen werden, als Ihnen lieb ist.«
Sie tauschten feindselige Blicke, dann grinste Gabe. Ein Grinsen, so daß ihr ein Schauer über den Rücken rieselte. Er streckte den Arm nach ihr aus. Sie wich zurück. Doch er wollte nur das Kopftuch, das aus ihrer Manteltasche hing.
»Mit verbundenem Mund machen Sie mir weniger Ärger.«
Bevor sie protestieren konnte, hatte er das Tuch fest um ihren Mund gewickelt und verknotet. Sie lallte hilflos.
»Jetzt können Sie schreien, so laut Sie wollen, Doc. Keiner wird Sie hören.«
Sie stapften durch trockenes Gras, bis sie den Mietstall erreichten. Mit jedem Schritt, den sie sich von ihrer Arztpraxis entfernte, wuchs Olivias Panik. Dieser Gabriel Dahaner war nicht der Spötter, mit dem sie sich in Shriners Gemischtwarenladen angelegt hatte, auch nicht der Raufbold, dessen Rippen sie vor ein paar Wochen verbunden hatte. Dieser Mann war voll Zorn und Verzweiflung und zu allem fähig. Er mußte seine indianischen Geliebten über die Maßen lieben, um sich zu solch kriminellen Handlungen hinreißen zu lassen. Der gefährlichste Mann ist immer der, der glaubt, seine Mission rechtfertige jedes Mittel, auch gewalttätige und ungesetzliche. Diese Gedanken ließen sie frieren; es war nicht die Kälte der Novembernacht.
Die Tür zum Mietstall knarrte. Im Innern zündete Gabe eine Lampe an, schob Olivia in einen leeren Verschlag und verriegelte ihn. »Warten Sie hier. Ich nehme an, Sie haben kein Pferd im Stall.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Dann müssen wir uns eines ausborgen. Longshot kann uns nicht beide die Berge hinauftragen. Hoffentlich können Sie reiten.«
Wieder verneinte sie.
»Dann müssen Sie es eben lernen.«
Wenn sie tat, was er ihr sagte, würde er sie vielleicht verschonen. Sie würde mit ihm in die Berge reiten, die Frauen behandeln und wieder in die Stadt zurückkehren. Zwei ihrer drei Patienten befanden sich auf dem Wege der Besserung und konnten sie entbehren. Die Eltern des dritten Kindes würden hoffentlich das Geld aufbringen, um Cahill oder Traleigh zu bezahlen. Die arme Amy würde sich schreckliche Sorgen um sie machen, doch Sylvester würde dafür sorgen, daß sie sich nicht übernahm. In ein paar Tagen war sie wieder zurück, und dann kam alles wieder in Ordnung. In ein paar Tagen …
Olivia redete sich in Gedanken Mut zu und beobachtete, wie ihr Entführer einen großen graubraunen Wallach sattelte. Dieser Vorfall war unangenehm und lästig, aber keine Katastrophe. Nachdem sie bei der Polizei Anzeige erstattet hatte, würde sie Gabriel Danaher ein für allemal vergessen.
All ihre Vernunftsgründe und ihr nüchterner Verstand vermochten nicht die Panik, die in ihr hochstieg, zu bezähmen. Was geschah, wenn die Frauen starben und Danaher ihr die Schuld an ihrem Tod gab? Wenn er um jeden Preis verhindern wollte, daß sie Anzeige gegen ihn erstattete? In den Bergen war es nicht schwer, eine Leiche verschwinden zu lassen. Sylvester hatte Gabe Danaher als Schurken und Taugenichts bezeichnet. War er zu einem Mord fähig? Der flackernde Lampenschein warf gespenstische Schatten über Gabes finsteres Gesicht, und Olivia traute ihm jedes Verbrechen zu.
Er entriegelte den Verschlag. »Können Sie wirklich nicht reiten?«
Sie schüttelte heftig den Kopf.
Sie konnte nicht reiten und Pferde waren ihr auch nicht geheuer.
Er schnitt eine Grimasse. »Zu dumm. Dann müssen Sie es unterwegs lernen.«
Er nahm Olivias Arm und führte sie und die beiden Pferde aus dem Stall.
»Halten Sie sich am Sattelknauf fest, stellen Sie den linken Fuß in den Steigbügel und schwingen Sie das rechte Bein über den Rücken des Pferdes.«
Sie blickte ihn ausdruckslos an.
»Nun los, Doc. Sie sind nicht zu dumm dazu.« Er nahm ihre gefesselten Hände und legte sie über den Sattelknauf. Dann bückte er sich nach ihrem Fuß.
Olivia versetzte ihm einen Tritt und wich zurück. Ihr Gesicht lief rot vor Zorn an. Seine Augen verengten sich. »Erinnern Sie sich, daß ich versprach, Sie bäuchlings über den Sattel zu legen wie einen Sack Mehl?«
Sie nickte.
»Nun aber rauf mit Ihnen!«
Sie raffte das bißchen Würde zusammen, die ihr geblieben war und schaffte es, den Fuß in den Steigbügel zu setzen. Der Graubraune wandte mißmutig den Kopf, als sie versuchte, sich in den Sattel zu hieven, ein Unterfangen, das wesentlich mühsamer war, als es
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