Die Mehrbegabten
»Meine Anwälte werden Ihnen meine Entscheidung mitteilen.« Er funkelte Denfeld an, den er ganz und gar nicht mochte. »Jetzt habe ich anderes zu tun.« Er nickte einem Mitarbeiter zu, der seine feste Hand auf die Schulter des Anwalts legte und ihn zu einer der Türen brachte, die aus dem Schlafzimmer herausführten.
Als die Tür sich hinter Denfeld geschlossen hatte, lehnte Grem sich zurück, meditierte und trank seinen Kaffee. Wenn sie doch nur gegen ein Gesetz verstoßen würde, sagte er sich. Selbst ein Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift würde schon reichen – irgend etwas, damit sie in ihrer Beziehung zur Polizei ins Hintertreffen gerät. Wenn wir sie dabei ertappen, wie sie bei Rot die Straße überquert, hätten wir sie in der Hand; sie könnte sich der Festnahme widersetzen, in der Öffentlichkeit obszöne Ausdrücke gebrauchen, dadurch eine öffentliche Bedrohung darstellen, daß sie bewußt gegen das Gesetz verstoßen hätte… und wenn Barnes’ Leute sie nur bei einem Vergehen ertappen würden, dachte er; zum Beispiel, Alkohol kaufen und/oder trinken. Dann (seine eigenen Anwälte hatten ihm das erklärt) könnten wir ihr das Sorgerecht entziehen lassen, ihr die Kinder wegnehmen, bei einem echten Scheidungsverfahren ihr die Schuld zuschieben – was, unter solchen Umständen, sogar ganz öffentlich geschehen könnte.
Aber so, wie die Dinge standen, wußte Irma zuviel über ihn. Eine Scheidung im Streit würde ihn sehr schlecht aussehen lassen, wenn man bedachte, was Irma aus der Gosse alles zusammenzukratzen vermochte.
Er griff nach dem Direkt-Fon und sagte: »Barnes, holen Sie diese Polizistin, Alice Noyes, und schicken Sie sie her. Am besten kommen Sie auch mit.«
Polizeiagentin Noyes leitete das Team, das seit fast drei Monaten versuchte, etwas über Irma herauszufinden. Vierundzwanzig Stunden am Tag wurde seine Frau von den Video- und Tonanlagen der Polizei überwacht… natürlich ohne ihr Wissen. Eine Videokamera beobachtete sogar die Vorgänge in Irmas Badezimmer, nur hatte sich dort leider noch nichts Bemerkenswertes zugetragen. Alles, was Irma sagte oder tat, was sie sah, jeder Ort, den sie besuchte – alles war auf Bandspulen in der ÖSD-Zentrale in Denver. Und alles gleich Null.
Sie hat ihre eigene Polizei, erkannte er düster. Ehemalige ÖSD-Leute, die sie begleiten, wenn sie einkaufen geht, zu einer Party oder zu Dr. Radcliffe, ihrem Zahnarzt. Ich muß sie loswerden, sagte er sich. Ich hätte nie eine Altmensch-Ehefrau nehmen sollen. Aber es war lange her, und er hatte damals noch nicht diese hohe Stellung bekleidet. Jeder Außergewöhnliche und jeder Neue Mensch verhöhnte ihn insgeheim, und das gefiel ihm nicht; er las Gedanken, eine ganze Menge, die von vielen Menschen ausgingen und voller Verachtung waren.
Vor allem bei den Neuen Menschen.
Während er auf Direktor Barnes und Agentin Noyes wartete, nahm er sich wieder die Times vor und schlug wahllos eine der dreihundert Seiten auf.
Und fand sich mit einem Artikel über das Projekt Großes Ohr konfrontiert… einem Artikel aus der Feder von Amos Ild, einem einflußreichen Neuen Menschen; jemand, dem Grem nicht ans Leder konnte.
Nun, das Experiment Großes Ohr läuft ja wunderbar, dachte er ironisch, als er las.
»Die Arbeit am ersten rein elektronisch-telepathischen Horchgerät, zunächst für gänzlich undurchführbar gehalten, schreitet munter fort. Das haben Sprecher der McMally GmbH, die das Große Ohr, wie es genannt wird, konstruiert und baut, heute bei einer Pressekonferenz in Anwesenheit zahlreicher Skeptiker erklärt. ›Wenn das Große Ohr den Betrieb aufnimmt‹, sagte Munro Capp, ›wird es in der Lage sein, die Gedankenwellen von Zehntausenden von Personen zu überwachen, und die Fähigkeit besitzen – die unter Außergewöhnlichen nicht vorhanden ist –, diese riesige Flut zu entschlüsseln und… ‹«
Er warf die Zeitung fort; sie fiel auf den dicken Teppich. Diese Neumensch-Banditen, dachte er wütend und knirschte ohnmächtig mit den Zähnen. Sie stecken Milliarden hinein, und nach dem Großen Ohr werden sie eine Anlage bauen, die präkognitive Außergewöhnliche ersetzen kann, dann alle anderen, der Reihe nach. Es wird Poltergeist-Maschinen geben, die durch die Straßen rollen und durch die Luft surren. Man wird uns nicht mehr brauchen.
Und… statt der starken und stabilen Zweiparteienregierung, die sie jetzt hatten, würde es ein Einparteiensystem geben, ein monolithisches Monstrum, in dem die
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