Die Meister der Am'churi (German Edition)
können … Kommt es zum Zusammenstoß, muss Charur gefesselt und sein sterbender Leib in die Höhle zurückgebracht werden. Er ist der Wille, der die Drachen antreibt. Ist er gefangen, werden die anderen nicht fortfliegen und sich irgendwo in Aru verbergen und sammeln, sondern versuchen, ihn zu befreien. Lynea erhält dadurch die Möglichkeit, das Siegel zu erneuern, wenn so viele Drachen wie möglich zurückgekehrt sind.“
„Dafür müsste Muria sie freigeben“, sagte Ni’yo leise.
„DAZU IST SIE BEREIT, JEDOCH WIRKLICH NUR DAFÜR“, erklang Am’churs Grollen. „DIE ENTFLOHENEN DRACHEN MÜSSEN GETÖTET WERDEN, BEVOR SIE DAS TAL VERLASSEN KÖNNEN.“
„Was geschieht, wenn ich versage und die Drachen schon freikommen, bevor Yumari und die anderen vor Ort sind?“ Er hörte Jivvin neben sich, konnte den leisen Laut allerdings nicht einordnen – war es Erschrecken? Wut?
„DANN WERDEN DIE DRACHEN DIE STÄDTE DER KALESH ANGREIFEN UND VERNICHTEN, UND ES WIRD KEINEN UNTERSCHIED MACHEN, OB DAS SIEGEL ERNEUERT WIRD ODER NICHT. NACH DEN ELFEN WERDEN DIE MENSCHEN GEJAGT WERDEN. ÜBERLEBEN KÖNNEN DAS NUR WENIGE.“
„Dann werde ich nicht versagen!“ Ni’yo gab sich gelassen, auch wenn er wusste, dass er damit niemanden täuschen konnte. Zumindest nicht jene, die ihn wirklich kannten.
Er zog sich den Gurt von der Schulter, an dem sein Chi’a befestigt war, und gab ihn an Jivvin, ohne ihn anzusehen. Zu groß war seine Furcht vor dem, was er im Gesicht seines Geliebten lesen würde .
„ERFÜLLE DEINE PFLICHT, NI’YO. GENAU DAFÜR WURDEST DU GEBOREN“, sagte Am’chur in ihm. Ohne jede Vorwarnung verschwand er. Am‘chur war er fort. Ni’yo schwankte, als er den Gott nicht mehr spüren konnte. Das Bewusstsein, die Kraft, die ihn zwanzig Jahre lang begleitet hatte, sie war einfach nicht mehr da. Er taumelte, sank in die Knie. Ein Schwert, mit aller Kraft in den Leib gerammt, hätte nicht verheerender wirken können.
Warum jetzt schon?, schrie er innerlich. Es kam keine Antwort. Er war allein.
„Steh auf, Ni’yo.“ Ilanrin zog ihn rücksichtslos hoch und führte ihn energisch am Arm aus dem Heiligtum heraus. Nie zuvor hatte Ni’yo diesen Elf so sehr gehasst wie in diesem Moment.
„Nimm Abschied, dann kommst du mit uns. Beeil dich, uns bleibt nur wenig Zeit.“ So hart diese Worte auch klangen, in den Elfenaugen schimmerte Mitgefühl – Ni’yo glaubte allerdings keinen Augenblick daran, dass es echt sein könnte.
Verloren fand sich Ni’yo in Tempelhof wieder, allein unter den wartenden Am’churi, die ihn allesamt misstrauisch beäugten, nicht wenige von ihnen voller Hass, den sie niemals vergessen hatten.
Allein …
Ohne Am’chur.
6.
„Ni’yo, warte!“ Jivvin kam zu ihm und berührte ihn an der Schulter.
Ni’yo starrte zu Boden, er wagte nicht, ihn anzusehen. Jivvin hatte ihn eben zurückgewiesen, was, wenn er ihm böse war? Wenn er vielleicht doch Lynea bevorzugte? Lieber würde er ohne Abschied gehen, als noch einmal Wut oder Ablehnung in Jivvins Blick zu lesen. Auch wenn er wusste, dass dies wohl ein Abschied für immer war.
Es fühlte sich so leer an, dort, wo Am’chur sein sollte. Einsamkeit … Sein größter Feind hatte ihn wieder eingeholt.
Warum lässt du mich im Stich? Warum muss ich eine Spielfigur für Götter sein? Warum kann ich nicht einfach das bisschen Glück genießen, das ich mir erkämpft habe?
„Ni’yo?“
Er sah Jivvins Stiefel, ganz dicht vor seinen eigenen. Und noch immer wagte er nicht aufzublicken, zitterte innerlich bei dem Gedanken, dass mit der Einsamkeit auch der Hass zurückgekehrt sein könnte.
„Komm her“, flüsterte Jivvin und zog ihn an sich. Wie ein Ertrinkender klammerte sich Ni’yo an ihn, suchte Halt in den starken Armen, lauschte dem so vertrauten Herzschlag.
„Ich will dich nicht verlieren, Ni’yo, hörst du? Sei stark dort unten. Lass dich nicht zerstören, kehre zu mir zurück“, flehte Jivvin mit tränenerstickter Stimme. Ni’yo konnte nichts erwidern, mit zugeschnürter Kehle drückte er sich nur noch fester an ihn. Jivvin legte beide Hände um sein Gesicht, zwang ihn, seinem Blick zu begegnen. Angst, Trauer, Liebe, all dies fand Ni’yo in den wunderschönen Augen. Wie von selbst trafen sich ihre Lippen zu einem letzten Kuss, sie konnten, sie wollten sich nicht voneinander lösen, niemals mehr …
Doch da legte sich eine Hand auf Ni’yos Arm, Ilanrin war zu ihm getreten.
„Es ist Zeit“, sagte der Elf kalt. Ni’yo
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