Die Meister der Am'churi (German Edition)
unterdrückte den Schrei, der in seinem Inneren gellte, nickte stumm und löste sich von Jivvin. Hunderte Dinge drängten in ihm, die er sagen wollte, bevor es zu spät war. Er fand kein einziges Wort; darum griff er nach Jivvins Händen, barg noch einmal rasch sein Gesicht in ihnen, küsste beide Handflächen. Als er ihn losließ und zurücktrat, fühlte es sich an, als wäre er in Stücke zerrissen worden. Schritt für Schritt ging er rückwärts, bis er den Schmerz in Jivvins Blick nicht mehr ertragen konnte; dann wandte er sich um und folgte Ilanrin, der ungeduldig auf ihn gewartet hatte.
Jivvin starrte ihm nach, bis sich das Tor hinter ihm geschlossen hatte. Er hätte nun selbst sein Bündel nehmen und sich für den Aufbruch fertigmachen sollen, doch er konnte sich nicht bewegen. Alles in ihm wehrte sich dagegen, denn dann war es endgültig. Dann würde er akzeptieren, dass Ni’yos Scheitern so gut wie gewiss war und er alles tun musste, um dafür bereit zu sein. Er konnte es nicht!
„Jivvin?“
Er fuhr herum, als er Lurez’ Stimme hinter sich hörte. Ein weiteres Mal würde er weder Spott noch Verachtung ertragen, er würde ihn zusammenschlagen, mit bloßen Fäusten, sollte er es wagen … Doch Lurez starrte ihn in einer Mischung aus Verlegenheit und Mitgefühl an, und Jivvin ließ die Arme sinken.
„Es tut mir leid“, sagte Lurez. „Es … Jivvin, es tut mir so leid. Ich war … Ich hätte nie gedacht, dass … Bitte, vergib mir. Ich war ein Narr.“
„Ja, das warst du“, erwiderte Jivvin nach einem langen Moment des Schweigens. „So wie wir alle. Ich hätte ein wundervolles Leben mit ihm als Freund und Vertrauter führen können, von Kindheit an. All die Jahre habe ich verschwendet, weil die Götter es so wollten. Es war so wenig Zeit, die wir haben durften.“
„Das stimmt so nicht, und das weißt du. Eure Feindschaft hatte ihren Grund und das, was ihr beide teilt, hättet ihr auf anderem Wege gar nicht gewinnen können.“
„Ich weiß“, stieß Jivvin bitter hervor. „Es ist trotzdem so ungerecht.“
Er wandte sich abrupt um. Am’chur hatte ihm eine Aufgabe zugewiesen, er musste sie erfüllen. Noch bestand Hoffnung, noch konnte er sich an den Gedanken klammern, dass Ni’yo es schaffen würde. Wer sonst, wenn nicht er?
„Warte!“ Hastig hielt Lurez ihn zurück. Jivvin rang sich ein mühsames Lächeln ab.
„Es ist schon gut, Lurez. Ich sehe dich lieber als Freund denn als Feind, in Ordnung?“
Lurez nickte ernst, starrte dann auf das Tor.
„Ich bin neidisch, Jivvin. Ich würde meinen rechten Arm geben, wenn ich dafür nur eine Woche lang so etwas erfahren dürfte wie es zwischen dir und Ni’yo ist … Ich schwöre, ich werde dir beistehen, ihn zurückzuholen! Wie ihr beide da eben … Ach, selbst ein einziger Tag wäre schon ein Geschenk der Götter!“
„Götter machen keine Geschenke!“ Jivvin schnaubte verächtlich. „Und ich würde meinen rechten Arm dafür geben, wenn sich dieser heutige Tag in ein Traumgebilde verwandelte, über das man nach dem Aufwachen nur kurz den Kopf schüttelt!“
Er ließ Lurez stehen und schnappte sich seine Ausrüstung. Er musste Yumari finden, die hoffentlich auf den normalen Wegen reiste, und das so schnell wie möglich.
Als er allerdings Lynea alleine auf dem Hof sah, packte er sie und zerrte sie energisch mit sich. Sie wehrte sich, aber er ließ nicht los, bis er sie in eine stille Ecke gedrängt hatte, wo er sie brutal von sich stieß. Wie eine wütende Raubkatze sprang sie sofort wieder hoch und ging in Angriffsstellung.
„Hattest du es gewusst?“ Grollend vor Zorn baute sich Jivvin vor Lynea auf. „Hattest du dich mir deshalb an den Hals geworfen? Um einen Keil zwischen mich und Ni’yo zu treiben? Damit er bereitwilliger in den Tod geht und du aller Sorgen ledig bist, dass man vielleicht doch dich auswählt?“
„Wie kannst du es wagen!“, fauchte sie und schlug ihm die Faust ins Gesicht. Jivvin ließ es zu, er sehnte sich regelrecht nach dem Schmerz, der ihn von dem Schmerz in seinem Inneren ablenkte.
„Ich liebe ihn! Jivvin , ich liebe ihn so sehr! Er ist die einzige wahre Familie, die mir geblieben ist. Ich will ihn nicht noch einmal verlieren.“
Mit einem Laut zwischen zornigem Schrei und heiserem Schluchzen fiel sie in seine Arme und drückte sich voller Verzweiflung an ihn.
Verblüfft konnte er nichts anderes tun, als sie zu halten und beruhigend über ihren Rücken zu streicheln. Er war überfordert mit dem,
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