Die Meisterin der schwarzen Kunst
sie ihre Tage und Nächte müßig im Wirtshaus, um mit den kurfürstlichen Pikenieren Karten zu spielen, zu würfeln und zu bechern. Die Wachsoldaten, denen es töricht erschien, dabei zuzusehen, wie sich halb ausgehobene Gräben mit Schmutzwasser füllten, ließen sich nur zu gern überreden, den Arbeitern Gesellschaft zu leisten. An den Tischen hörte man bald nicht mehr nur das Klappern der Würfel, sondern auch deftige Geschichten und Flüche.
«Ach, du solltest das Gerede vom Krieg nicht so ernst nehmen», riss Annas Stimme Henrika aus ihren Gedanken. «Inzwischen sollten unsere Fürsten gelernt haben, auf welchem Betschemel sie sich niederknien sollen.»
Henrika beobachtete, wie Annas Sticknadel über das steife Tuch tanzte, dann sagte sie: «Ich habe neulich den Handwerkern zugehört, welche die Gattertore für die neue Siedlung herstellen. Sie kommen von weither, nicht nur aus den pfälzischen Gebieten, sondern aus Ungarn und anderen entlegenen Teilen des Reiches. Die Männer sind vor Unruhen und Auseinandersetzungen in ihrer Heimat geflohen, die von Jahr zu Jahr heftiger werden. Wenn ihre adligen Grundherren sich aus religiösen Gründen befehden, lassen sie zunächst die Gehöfte und Dörfer ihrer Nachbarn von Landsknechten plündern und die Bauern vertreiben. Barthel ist der Ansicht, dass es im Reich schon lange keine wahre Ordnung und keine Gesetze mehr gibt, die allen Untertanen unabhängig ihres Glaubens Schutz gewähren. Kaiser Rudolf würde seinen Einfluss liebend gern auch auf die einzelnen Fürstentümer ausdehnen, aber noch hat er kein eigenes Reichsheer hinter sich, das ihm helfen könnte, seine Ansprüche durchzusetzen. Söldner waren schon immer teuer. Die Stände widersetzen sich seinen Wünschen, vor allem die böhmischen Protestanten bereiten ihm Kopfzerbrechen.»
«Solange der alte Kaiser im Reich nicht mehr zu sagen hat als euer Schultheiß im Dorf, brauchen wir uns vor ihm nicht zu fürchten», erwiderte Anna mit blitzenden Augen. «Die pfälzischen Schützen und Pikeniere sind bekannt für ihre Waffenkünste. Sie würden die bunt zusammengewürfelte Schar Kaiser Rudolfs das Fürchten lehren, falls sie uns tatsächlich angreifen.»
Henrika wurde nachdenklich. Da sie nur wenig von der Politik des Kaisers und der Reichsstände verstand, fiel es ihr schwer, die Lage richtig einzuschätzen. Bewies nicht der Umstand, dass dem Kurfürsten so viel am Bau der Festungsanlage lag, dass ein bewaffneter Konflikt mit dem Kaiser auf Dauer eben nicht auszuschließen war? Der Kurfürst verfügte als Truchsess des Reiches über Macht und Ansehen, doch genau das brachte ihn in eine schwierige Lage. Er konnte sich aus dem Konflikt mit dem Kaiser nicht einfach heraushalten, sondern musste Stellung beziehen. Graf zu Solms selbst hatte gesagt, dass Friedrich IV. bereits Verhandlungen über ein neues Bündnis der protestantischen Reichsstände führte. Musste das in den Augen des Kaisers nicht wie Verrat aussehen? Henrika fühlte sich unbehaglich. Obwohl sie selbst keinen Krieg miterlebt hatte, ahnte sie, dass ein bewaffneter Konflikt zwischen den kaiserlichen Truppen und den Soldaten der verbündeten Fürsten für das gesamte Reich, besonders aber für das Kurfürstentum verheerende Folgen haben würde. Sie konnte nur hoffen, dass der Sturm nicht über sie hereinbrechen würde, bevor die Arbeiten an der Festungsanlage abgeschlossen waren. Erst dann würde sich zeigen, ob die Wälle, die auf Barthels Reißbrett entstanden waren, Schutz vor anrückenden Truppen mit Kanonen und Sturmgeschützen boten. Henrika hätte gern genauere Auskünfte über die Verhandlungen des Kurfürsten eingeholt, aber nach der Abreise des Grafen zu Solms hatten nur noch vereinzelt Kurierreiter ihren Weg ins Dorf gefunden. Über das, was sie berichteten, schwieg sich Barthel aus. Henrika wunderte sich darüber. Ein Vorhaben wie der Bau einer neuen Stadtfestung musste doch im Reich heftig diskutiert worden sein. Warum erfuhren sie nichts darüber, was man am Hof des Kaisers von Kurfürst Friedrichs ehrgeizigen Plänen hielt?
Am Tag der Grundsteinlegung war es stürmisch. Die Pfützen, die auf den Straßen und Feldwegen an die lange Regenzeit erinnerten, waren von den Bauern mit Stroh gefüllt worden, das nun vom Wind durch die Straßen geweht wurde. Ein schlechtes Omen, munkelten viele.
Seit Wochen redeten die Frauen an den Brunnen von nichts anderem mehr als dem nahenden Besuch des Kurfürsten. Das Gerücht ging um, sein ganzer
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