Die Meisterin der schwarzen Kunst
bestaunen. «Ich habe oft an den armen Jungen gedacht und Gott gebeten, dass er das Wundfieber übersteht.»
Elisabeths eben noch heitere Miene gefror bei Henrikas Worten zu einer Maske. Mit glasigen Augen starrte sie in die Ferne
«Tante …»
«Lutz ist wohlauf», antwortete Elisabeth. Unvermittelt war sie in die Wirklichkeit zurückgekehrt und schenkte Henrika das Lächeln der geschäftstüchtigen Händlerin. «Mach dir keine Gedanken um ihn, Unkraut verdirbt nicht.» Mit einem Tuch tupfte sie ein paar Tropfen Wein vom Schankfass.
«Erinnerst du dich an Meister Priem, den blinden Wirt, dem die Schänke an der Krummen Brücke gehört? Nicht? Das dachte ich mir. Ist auch kein Ort für junge Mädchen. Eher eine Räuberhöhle, in der Karten gespielt und gewürfelt wird. Aber das Haus ist wenigstens sicher, denn dort hackt keine Krähe der anderen ein Auge aus. Der blinde Priem fragt keinen Gast, ob er auf der Flucht vor der Obrigkeit ist. Ich habe Lutz zu ihm gebracht, damit er sich fernab des Dorfes erholen kann. Meister Priem versteht mehr von der Heilkunst als ich. Er hat sogleich ein Torffeuer geschürt, Lutz Umschläge mit Branntwein und Eselsmilch verabreicht und ihm geriebenen Rettich auf die Fußsohlen gelegt. Der Rettich soll das Fieber senken und das Gift der Bleikugel aus dem Körper ziehen.»
Henrikas Augen weiteten sich. «Du hast ihn von einem Blinden behandeln lassen?»
«Du scheinst zu vergessen, wie schnell ein Bursche am Galgen baumeln kann, der es wagt, ins Haus eines kurfürstlichen Gesandten einzubrechen», erwiderte Elisabeth kühl.
«Das hätte ich niemals zugelassen!»
Elisabeth zuckte die Achseln. «Schultheiß Litter hat mir alles erzählt. Lutz wollte diesem Festungsbaumeister an die Kehle. Gott allein weiß, welcher Teufel ihn dazu trieb. Ich hielt es für das Beste, nicht darauf zu warten, bis die Büttel des Kurfürsten vor dem Wirtshaus stehen, um ihn mitzunehmen.» Sie wischte ihre Hände an der Schürze trocken. «Geschehen ist geschehen. Ich muss deinem Herrn Barthel vermutlich dankbar sein, dass er darauf verzichtet hat, Lutz vor das Blutgericht zu stellen. Seine Wunde verheilt, auch wenn er nie mehr richtig wird laufen können. Aber das ist Gottes Strafe für seinen Übermut und sollte von uns nicht beklagt werden.»
Henrika schoss vor Scham das Blut in den Kopf. Die Wirtin haderte nicht mit ihrem Schicksal. Sie war Barthel noch dankbar, weil sie annahm, dass er so großmütig gewesen war, Lutz laufen zu lassen.
«Ich habe den Schuss auf Lutz abgegeben.»
Henrikas Satz hallte wie ein Peitschenknall über den Stand. Nun war es heraus und ließ sich nicht mehr zurücknehmen. Sie atmete tief durch und sah, wie sich die Stirn ihrer Verwandten in Falten legte. Es dauerte eine Weile, bis die Wirtin begriff. «Was hast du gesagt?»
«Ich habe den Schuss abgegeben, Tante», antwortete Henrika wahrheitsgemäß. «Ich wollte es dir schon lange beichten, bereits am Tag, als es geschah, und ich fühle mich schuldig, dass ich es nicht getan habe. Aber ich hatte zu große Angst davor.»
«Und warum sagst du es mir jetzt?»
Elisabeths Reaktion auf das Geständnis fiel anders aus, als Henrika erwartet hatte. Ihre Miene war undurchsichtig, ihre Stimme bis auf ein kaum wahrnehmbares Zittern ruhig und kräftig, und dennoch fühlte Henrika, dass es im Innern der Frau brodelte. Das war kein Wunder. Henrika fühlte sich schuldig, durfte nun aber nicht zurückweichen.
«Lutz hatte vor, mich aus Barthels Haus zu entführen. Ich habe versucht, ihn zu beruhigen, aber er war wie von Sinnen. Barthel überraschte ihn dabei, wie er mich auf den Hof zerren wollte. Es ist wahr, dass Lutz sich auf den Baumeister stürzte. Und wenn ich den Schuss nicht abgegeben hätte, wäre Barthel jetzt vermutlich tot.»
Elisabeth starrte sie einen Moment lang an, dann nickte sie. Sie nahm ein Tuch und begann geschäftig, Becher blank zu reiben. «Vermutlich hattest du keine Wahl», sagte sie so unbeteiligt, als unterhielte sie sich mit einer Bäuerin über die bevorstehende Ernte. «Manchmal müssen wir Entscheidungen treffen, die uns wehtun. Ich habe dich nicht in der Schänke behalten, weil ich fürchtete, es könnte Lutz schaden, wenn du dich zu oft in seiner Nähe aufhältst. Hätte ich ihn nur früher aus dem Dorf geschafft, wäre uns dreien einiges erspart geblieben.»
«Der Festungsbaumeister hat die ganze Angelegenheit längst vergessen», beruhigte sie Elisabeth. Sie deutete in Richtung der Anhöhe,
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