Die Melodie des Todes (German Edition)
brüsk.
»Wünscht der Polizeimeister nicht, eingehender informiert zu werden, bevor wir gehen? Ich meine, wäre es nicht besser, wenn Ihr vorbereitet wärt …?«
»Sag mal, Junge, ist das Teufelswerk vielleicht von hier aus zu sehen?«
»Nein, nein, natürlich nicht. Vor der Stadtmauer.«
»Dann sollten wir unsere Zeit nicht mit Worten vergeuden. Du solltest mich gut genug kennen, um zu wissen, dass ich nur glaube, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Nach dir!«
Sie gingen schweigend in Richtung Stadttor, das der Wächter mit einem Schlüssel von seinem Schlüsselbund aufschloss.
Der Morgen war zweifellos die ruhigste Zeit des Tages in Ila. Zu dieser Zeit war die abfallende, stinkende Häuserzeile vor den Mauern der Stadt gerade erst zur Ruhe gekommen. Die letzten Becher waren geleert und die Dirnen durften sich ausruhen. Nur der eine oder andere unverbesserliche Säufer lag noch im Rinnstein und lallte vor sich hin, ohne jemanden zu stören. Ohne sie hätte Polizeimeister Bayer sicher nicht selten in der Gosse gelegen. Von der Stelle, an der sie sich gerade befanden, konnte er ihr Fenster sehen. Er wusste, dass sie schlief. Nach langen Nächten schlief sie immer sehr fest.
Sie folgten dem Pfad, über den die Menschen das Trinkwasser hinauf nach Ila schafften. Eine Brücke brachte sie über den Bach unterhalb des Sägewerks. Dann folgten sie einem schmalen Steig hinunter zum Meer. Etwas westlich davon, am Strand, lag die Leiche.
Nils Bayer blieb stehen und sah sie sich an.
Wir leben in neuen Zeiten, dachte er. Nicht einmal mehr die Leichen sehen aus wie früher. Obwohl er erst seit drei Jah ren Polizeimeister der Stadt Trondheim war, hatte er schon viele Leichen gesehen. Menschen, die eines unnatürlichen Todes gestorben waren, ehe Krankheiten, Unglücke oder das Alter sie dahingerafft hatten. Trondheim war in der Beziehung nicht anders als andere Städte. Zwischen den Morden oder Selbstmorden lagen oft nur wenige Wochen. Mordopfer gab es meistens in Verbindung mit Schlägereien, bei denen irgendwann je mand zum Messer oder zu einer Keule griff. Zwischendurch gab es immer wieder auch bösartige, eifersüchtige Teufel, die ihre Frauen einmal zu viel verprügelten. Und auch die verfeindeten Gruppen junger Männer, die sich vor der Stadt prügelten, durften nicht vergessen werden. Manchmal artete es zu richtiggehenden Schlachten zwischen den Jungs aus Ila und Bakklandet aus.
Einmal hatten er und ein Wächter früh morgens in Småbergan zwei Tote gefunden, beide mit von Stockschlägen malträtierten Gesichtern. Aber nur selten hatte es der Polizeimeister mit wirklich kaltblütigen Morden zu tun. Als er noch in Kopen hagen Dienst getan hatte, waren ihm sowohl Gift- als auch Raubmorde untergekommen, aber die Trønder schienen nur im Affekt zu töten.
Bei dieser Leiche war das offensichtlich anders, wobei er das Motiv für den Mord natürlich noch nicht kannte. Er war sich aber sicher, dass starke Gefühle im Spiel waren. Wenn ansonsten auch alles anders war. Der leblose Männerkörper lag entkleidet und mit angelegten Armen auf dem Rücken. Das lange, rote Haar wirkte gepflegt. Nils Bayer sah sich das Gesicht an, erkannte ihn aber nicht. Falls er dem Mann am Abend zuvor im Wirtshaus begegnet sein sollte, erinnerte er sich nicht daran. Ein langer, roter Schnitt führte von den Schamhaaren bis hinauf zum Brustbein. Der Unterleib war blutverschmiert und durch die klaffende Wunde sah man die Eingeweide. Auf den Wundrändern zählte er mindestens fünfzehn Fliegen.
»Was für ein Schicksal«, sagte der Wächter hinter ihm.
Bayer drehte sich um und bemerkte, dass der Junge seinen Blick nicht auf die Leiche gerichtet hatte, sondern über den tiefen, stillen Fjord schaute.
»Sein Leben auf so brutale Weise auszuhauchen und dann auch noch an diesem Ort«, fuhr er wie in Trance fort.
»Der Tod ist brutal. Aber damit haben wir nichts zu schaffen«, sagte der Polizeimeister irritiert. »Wir müssen uns nur fragen, was wohl geschehen ist. Wobei wir eine Sache schon mal festhalten können. Du irrst nämlich, dieser Mann starb nicht an dieser Stelle.«
»Wie könnt Ihr das sagen?«
»Siehst du nicht das Blut auf seinem Bauch?«
»Ja, aber was sagt uns das darüber, wo er gestorben ist?«
»Dann wirf doch einmal einen Blick auf die Steine, junger Mann.«
»Die Steine, was soll mit denen sein?«
»Siehst du Blut auf den Steinen?«
Der junge Wächter blieb stehen und studierte den Boden unter der Leiche.
»Auf
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