Die Melodie des Todes (German Edition)
Tisch lag. Der Kriminalreporter der Zeitung Adressavisen, Vlado Taneski, gehörte nicht unbedingt zu Odd Singsakers Favoriten, aber bei der Berichterstattung über diesen Fall hatte er das nötige Fingerspitzengefühl gefunden. Endlich konnte er mal über etwas schreiben, das bis weit über die Stadtgrenzen hinausging. Hätte Singsaker den geringsten Respekt für Taneski gehabt, wäre er vielleicht beein druckt gewesen.
Jetzt starrte er düster auf die Schlagzeile des Tages.
»Wo ist sie gewesen?«, stand mit Riesenbuchstaben über dem Foto von Silje Rolfsen. Der Artikel kam gleich zum Kern der Sache. Singsaker selbst wurde zitiert.
»Wir arbeiten mit verschiedenen Hypothesen«, hatte er gesagt. »Dass der Täter das Opfer gefangen gehalten hat, ist nur eine davon.« Singsaker war dieses Mal beinahe wörtlich von Taneski zitiert worden, trotzdem gab dieses Zitat nicht die Wahrheit wieder. Sie hatten nicht einmal den Ansatz einer Hypothese, wo Silje Rolfsen sich in den Wochen vor ihrer Er mordung aufgehalten haben könnte. Die Idee, dass der unbekannte Täter sie gefangen gehalten hatte, war bislang die Einzige, die Sinn machte. Nach den Ermittlungen der letzten Tage konnten sie nun weitestgehend ausschließen, dass Silje Rolfsen Jonny Olin in Trondheim getroffen hatte. Der Onlineshop der Bahn bestätigte allerdings, dass sie für dem Vormittag des 3. Januars ein Ticket für den Zug von Oslo nach Trondheim gelöst hatte. Der Ausdruck der Basisstation am Trondheimer Bahnhof zeigte zudem, dass sie am Abend desselben Tages zweimal ihr Handy benutzt hatte. Diese zwei Anrufe fanden sich im Telefon-Logfile ihrer Mitbewohnerin in Oslo und in Form eines unbeantwor teten Anrufs bei Jonny Olin wieder. Interessant daran war, dass Olin sich zu dieser Zeit in Kristiansund bei einem Freund aufgehalten hatte. Der Freund hatte dies bestätigt sowie die Mautgebühr auf dem Weg in die Küstenstadt. Des Weiteren hatten sie festgestellt, dass Silje Rolfsen nicht in ihre Wohnung in Oslo zurückgekehrt oder zu Freunden oder ihrer Familie gegangen war. Das Beunruhigendste aber war die Tatsache, dass ihr Handy nach den zwei Anrufen vom Bahnhof aus nie wieder benutzt worden war. Die letzte Aktivität auf ihrer Kredit karte war ein Einkauf über 29 Kronen im Speisewagen des Zugs nach Trondheim am Tag ihres Verschwindens. Weder das Handy noch das Portemonnaie mit der Visacard waren bei ihr oder in der Nähe des Fundorts entdeckt worden.
In Singsakers Kopf ergab sich daraus nur ein glaubhaftes Szenario.
Nachdem sie Jonny Olin nicht erreicht hatte, den sie mit ihrem Besuch überraschen wollte, hatte sie sich vermutlich zu Fuß in Richtung seiner Wohnung begeben. Irgendwo auf diesem Weg war sie dem unbekannten Täter begegnet. Vielleicht hatte sie ihm gegenüber erwähnt, dass sie fremd in der Stadt war, und er hatte sie deshalb als ein leichtes Opfer eingestuft. Oder war es ihm gelungen, sie unter einem Vorwand zu sich nach Hause zu locken? Vielleicht hatte er ihr angeboten, bei ihm zu warten, bis sie ihren Ex erreichte. Und dann hatte er sie nicht mehr gehen lassen, bis er sie drei Wochen später getötet hatte. Ausgehend von den wenigen Fakten, die sie hatten, hörte sich dieser Ablauf noch am plausibelsten an. Aber was war das Motiv? Die einzige für ihre Ermittlungen brauchbare Aussage dieses Szenarios über den Täter war, dass er vermutlich in der näheren Umgebung wohnte. Was an und für sich hilfreich war. Es war immer eine Erleichterung, wenn man den schrecklichsten Albtraum eines jeden Ermittlers ausschließen konnte, dass es sich um einen herumstreifenden Täter handelte, der seine Opfer wahllos aussuchte. Einfach war es trotzdem nicht. Die Gegend zwischen der Innenstadt und dem Skyåsvegen hatte die dichteste Konzentration an Mietwohnungen und Mietern in ganz Trondheim, mal abgesehen von der Studentensiedlung in Moholt. In Møllenberg, was auch im betreffenden Bereich lag, wohnten Unmengen von Studenten, Sozialhilfeempfängern, Alleinerziehenden und geschiedenen Ehemännern. Umzüge standen auf der Tagesordnung, und bei Weitem nicht jeder, der hier wohnte, war offiziell gemeldet. In der Gegend der Stadsingeniør Dahls gate bis hinauf zum Kuhaugen wohnten die Akademiker mit gehobener Ausbildung und ebenso hohen Krediten, weshalb es hier ein Unzahl von Einlieger- oder Maisonettewohnungen gab. Auch viele dieser Wohnung waren niemals offiziell gemeldet worden und die Mieten wanderten am Fiskus vorbei in die Geldbeutel der
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