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Die Melodie des Todes (German Edition)

Die Melodie des Todes (German Edition)

Titel: Die Melodie des Todes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jørgen Brekke
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untergegangen war. Vielleicht wurde er wieder Vater. Beim ersten Mal hatte er keinen sonderlich guten Job gemacht. Wie würde es jetzt laufen?
    *
    Der Verschlag, in dem sie jetzt hockte, hatte kein Fenster und keinen Eimer, in den sie ihre Notdurft verrichten konnte. Da war nichts, nur zwei kahle Mauern und zwei Wände aus Holzplanken. Die solide Tür war verschlossen und rührte sich nicht. Es war so stockfinster, dass sie kaum die Hände vor den Augen sah.
    Vielleicht hatte er sie dieses Mal nicht gefesselt, weil es von hier kein Entkommen gab. Nachdem er mit Bismarck verschwunden war, war er noch einmal mit etwas zu trinken zu ihr gekommen, danach hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Zwischendurch hörte sie ihn oben herumlaufen, aber die meiste Zeit war er außer Haus.
    Einmal, als sie sich sicher war, dass er nicht da war, hatte sie laut um Hilfe geschrien und von ganzem Herzen gehofft, dass ihre Stimme die dicken Grundmauern durchdrang und noch auf der Straße zu hören war. Dabei wusste sie ganz genau, wie hoffnungslos das war.
    Am meisten machte ihr aber Angst, dass er ihr die Melodie nicht mehr vorspielte. Die dünnen Töne hatten ihr Trost gegeben, sich wie ein schützender Schleier über ihre Situation gelegt. Ein Teil von ihr verstand, dass es falsch war, so zu denken, dass sie sich nur von den kranken Fantasien ihres rothaarigen Peinigers leiten ließ und genau das fühlte, was sie fühlen sollte. Aber sie konnte nichts dagegen tun. Sie vermisste die Melodie. Und es jagte ihr eine Todesangst ein, dass sie weg war. Was konnte das bedeuten? Hatte er aufgegeben? Oder wartete er nur auf die richtige Gelegenheit, sie totzuschlagen und ihr die Kehle durchzuschneiden, wie er es offensichtlich bei der anderen Frau getan hatte?
    Ein paar Mal, als sie sich ganz sicher war, dass er sie nicht hörte, hatte sie das Lied selbst gesungen. Sie hatte vor ihrem Fluchtversuch mehr als genug Zeit gehabt, die Melodie und den Text zu lernen. Einmal war sie danach eingeschlafen und hatte von Bismarck geträumt.
    Ansonsten schlief sie nicht mehr.
    Wie auch das Kind in ihrem Bauch nicht mehr schlief. Sie waren in der Hölle gelandet und in der Hölle schlief niemand.

T EIL 4

29
    Trondheim, 1767
    D ie Trondheimer Juninacht war bei Weitem nicht so fins ter wie die Gedanken von Nils Bayer. Er schleppte seinen enormen, von dem langen Ritt zermürbten Körper über den kurzen Weg von seiner Bleibe zum Hospital. In dieser Sommernacht fühlte sich das blaugraue Licht ebenso schwer an wie eine Winternacht. Der Flachmann, den er in Ringve mit erfrischendem, mit Salbei aufgekochtem Wein aufgefüllt bekom men hatte, war längst leer. Der Korvettenkapitän hatte ihm ver sichert, dass dieses Getränk wahre Wunder für die Verdauung, seinen Gemütszustand und sein Gedächtnis bewirkte. Was die ersten beiden Bereiche anging, hatte er keine Besserung gespürt, was den letzten anging, brauchte er keine.
    Torp hatte ihn gründlich ins Bild gesetzt. Der tote Spielmann war tags zuvor von zwei Wächtern vom Strand ins Hospital gebracht worden, wo der Pastor für einen einfachen Sarg gesorgt hatte. Ein Kirchendiener hatte den Toten für die Beerdigung vorbereitet, und dann war der Sarg im Keller aufgebahrt worden, direkt unterhalb des Raums, in dem die Irren wohnten. Am Vormittag war der Kirchendiener gekommen, um den Deckel zuzunageln, und hatte dabei das Fehlen des Leichnams bemerkt.
    Nils Bayer traf den Pastor draußen vor dem großen, hölzernen Gebäude des Hospitals an. Der Pastor war ein gelehrter Mann, der neben seiner Arbeit als Seelsorger auch noch Adjunkt am Seminarium Lapponicum war, der Lehranstalt, die die Missionare ausbildete, die die Wilden oben im Norden des Landes zähmen und zu wahren Christen machen sollten. Mit Men schen wie dem Pastor der Hospitalkirche an der Spitze, wollten sie die Heiden in ihrer eigenen Sprache davon überzeugen, in den Schoß der Kirche zu kommen. Der Pastor arbeitete in tensiv an einem eigenen Katechismus in dieser unbegreiflichen Sprache. Zuvor hatte er die Briefe des Johannes übersetzt.
    Der König ist nicht dumm, dachte Bayer. Er lässt einen von ihnen die Vorarbeit machen. Erst bringt er ihnen das Christentum und als Nächstes die dänische Sprache. Es würde sicher nicht mehr lange dauern, bis jeder Lappe die Sprache des Königs sprach.
    Bayer sah weder einen Grund dafür, die Welt mit zusätzlichen Christen anzufüllen, noch mit mehr Dänisch sprechenden Menschen. Er unterstützte die Bemühungen

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