Die Melodie des Todes (German Edition)
diesen Fall zu stürzen und sich zu beeilen«, sagte Brattberg nicht wirklich überzeugt. »Ansonsten setzen wir alle verfügbaren Personen an, Informationen zu sammeln. Das wird ein anstrengender Tag werden.«
Damit war die Besprechung beendet. Gro Brattberg konnte sehr strukturiert und konkret sein und damit allen Sicherheit geben. Singsaker merkte, dass die aufkommenden Kopfschmer zen wieder verschwanden, ehe sie richtig Fuß gefasst hatten. Niemand von ihnen wünschte sich so eine chaotische Ermittlung wie bei den brutalen Morden im Herbst.
Singsaker wusste das eine oder andere über den Museumshof in Ringve, und auf dem Weg dorthin frischte er sein Wissen auf, als könne ihm das auf irgendeine Weise bei diesem Fall wei terhelfen.
Der Hof war im 17. Jahrhundert vom Gut Lade abgetrennt worden. Tordenskjold sollte hier geboren worden sein. Auf jeden Fall hatte er in seiner Kindheit mehrere Jahre an diesem Ort verbracht. Die Familie Wessel hatte den Hof bis zum be ginnenden 18. Jahrhundert bewohnt. Danach gab es wechselnde Besitzer und diverse Umbauten. Singsaker verband den Hof wie wohl die meisten Trondheimer mit Victoria Bachke und dem Museum.
1919 besuchte die junge Victoria das Gut zum ersten Mal, da war sie einundzwanzig Jahre alt. Einige Monate später heiratete sie den damaligen Besitzer des Gutes Ringve, Christian Anker Bachke. Gemeinsam mit ihrem Mann entwarf Frau Bachke die Pläne für das Museum, die aber erst nach dem Tod ihres Man nes realisiert wurden. Zuerst entstand 1950 ein Mu seum über den legendären Seefahrer Peter Wessel Tordenskjold. Zwei Jahre später wurde das noch heute existierende Museum für Musikinstrumente eröffnet, das auf der umfangreichen Sammlung des Ehepaares Bachke aufbaute. Heute war Ringve das nationale Museum für Musikinstrumente, das überdies eine Sammlung von mehr als zweitausend Liedern umfasste. Außerdem war in dem Museum Norwegens einzige professionelle Konservatoren werkstatt für Musikinstrumente angesiedelt.
Was weiß denn ich!, dachte Singsaker, als er auf den gepflasterten Hof zwischen den restaurierten Prachtbauten trat. Vielleicht war Ringve exakt der richtige Ort, um die Ermittlungen in diesem Fall zu beginnen. Die Frau ohne Kehlkopf, dachte er. Der Mörder hatte das Musikinstrument des Körpers entfernt und durch ein mechanisches ersetzt, eine Spieldose. Vielleicht war das wirklich ein Ansatzpunkt. Und vielleicht war alles andere, was er über Ringve wusste, bloß Schlacke in seinem Kopf. Er fragte sich oft, warum sich der Gedächtnisverlust nach der Gehirnoperation im letzten Jahr nicht auf all die kuriosen Dinge ausgewirkt hatte, die er in seinem Kopf gespeichert hatte. Vielleicht ernähren sich Tumore ja von genau solchen Gedanken.
Er betrat das Gebäude und fragte nach Jonas Røed.
»Oh, das ist interessant. Eine wirklich besondere Spieldose. Von solcher Qualität gibt es nicht viele Exemplare, nicht mit so einer eleganten Tänzerin auf dem Deckel.«
Jonas Røed sprach mit leiser, aber intensiver Stimme und unterstrich seine Worte mit energischen Handbewegungen. Seine roten Haare wirkten im höchsten Maße energiegeladen. Während sie im Nacken kurz geschnitten waren, fiel ihm das lange Stirnhaar immer wieder in die Augen. Singsaker wusste nicht recht, was er von dem Mann halten sollte. Wie alle Menschen, die sich ganz besonders für etwas begeisterten, von dem Singsaker selbst nichts verstand, hatte Røed für ihn etwas Unergründliches.
»Dann ist das keine gewöhnliche Spieldose?«
Singsaker starrte auf den Rücken und das T-Shirt von Røed, als dieser sich in seinem engen, in der ehemaligen Scheune des Guts untergebrachten Büro erneut über das Instrument beugte. Ein altes, ausgewaschenes Metallica-Shirt mit einer Liste von Konzertdaten aus dem Jahr 1990. Es war einmal schwarz gewesen, jetzt war es grau.
»Nein, das ist definitiv keine gewöhnliche Spieldose.« Røed hatte die Dose geöffnet und sah sich die Trommel mit einer Lupe an, die er vor seinem Auge befestigt hatte. »Die Melodieplatte ist erst vor Kurzem ausgetauscht worden«, sagte er.
»Was heißt das?«
»Eine Spieldose besteht in der Regel aus drei Komponenten. Als Erstes ist da der Spielkamm, der meist aus gestimmten metallischen Tonzungen besteht. Aber es gibt auch Spieldosen mit Saiten wie in automatischen Klavieren. Jede Zunge vibriert auf einer bestimmten Frequenz und erzeugt einen festgelegten Ton. Man kann demnach alle Melodien spielen, die im Bereich dieser
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