Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...
bezaubern! Und jetzt bringt er seine ordinären Maitressen sogar vor meinen Augen mit und wollte mich dazu bewegen, sein Kind von einer anderen Frau als Erbe meines eigenen Besitzes anzuerkennen!
Nein, ich werde niemals einwilligen! Du und Du allein, mein George, Freund meiner Jugend, sollst Erbe der Lyndon-Güter sein. Warum hat nicht das Schicksal mich mit Dir vereint – statt mit diesem abscheulichen Mann, der mich in seiner Gewalt hält – und die arme Calista glücklich gemacht!»
So gingen diese Briefe in winziger, gestauchter Handschrift seitenlang weiter; ich überlasse es dem unvoreingenommenen Leser, zu entscheiden, ob nicht die Verfasserin solcher Dokumente das dümmste und eitelste Geschöpf aller Zeiten war und ob sie nicht der Obhut bedurfte. Ich könnte ellenlange Rhapsodien an Lord George Poynings abschreiben, ihre alte Flamme, den sie mit den zärtlichsten Namen anredete und anflehte, ihr eine Zuflucht vor ihren Unterdrückern
zu verschaffen. Ihre Lektüre würde den Leser aber ebenso ermüden wie mich das Abschreiben. Wahrlich hatte diese unglückliche Dame das Talent, viel mehr zu schreiben, als sie eigentlich wollte. Unablässig las sie Romane und Schund, versetzte sich in imaginäre Personen, ergab sich heroischen und gefühlsseligen Höhenflügen; dabei hatte sie von allen Frauen, die ich je kennengelernt habe, am wenigsten Herz und bekundete doch einen Hang zu ungestümer Verliebtheit. Unablässig schrieb sie, als wäre sie von lodernder Leidenschaft ergriffen. Ich besitze eine Elegie an ihren Schoßhund, das zärtlichste und ergreifendste Stück, das sie je geschrieben hat, und Briefe überaus feinfühligen Tadels an Betty, ihre Lieblingszofe; an ihre Haushälterin, nachdem sie sich mit ihr gezankt hatte; an ein halbes Dutzend Bekannte, deren sie jede als liebste Freundin auf der Welt anredete und in dem Moment vergaß, da sie sich auf etwas anderes kaprizierte. Was die Liebe zu ihren Kindern angeht, dürfte die oben angeführte Passage zeigen, ob sie zu echten mütterlichen Gefühlen wirklich fähig war; derselbe Satz, in dem sie den Tod eines Kindes erwähnt, dient dazu, ihren Egoismus bloßzulegen und ihrem Verdruss über mich Luft zu machen; und das andere Kind will
sie nur deswegen aus dem Grab zurückholen, damit es ihr einen Dienst erweist. Wenn ich denn wirklich streng mit dieser Frau verfuhr, Schmeichler von ihr fernhielt, die Zwietracht zwischen uns gesät hätten, und sie einschloss, um sie an Unfug zu hindern, wer wollte behaupten, ich hätte Unrecht getan? Wenn je eine Frau eine Zwangsjacke verdiente, dann war es Lady Lyndon, und ich habe in meinem Leben Menschen mit Handschellen und geschorenem Haupt im Stroh liegen sehen, die nicht halb so viele Torheiten begangen hatten wie diese närrische, eitle, verblendete Kreatur.
Meine Mutter war über die in diesen Briefen enthaltenen Vorwürfe gegen sie und mich so erbost, dass ich sie nur unter größten Schwierigkeiten davon abhalten konnte, unsere Kenntnis der Schreiben Lady Lyndon gegenüber zu entdecken, und natürlich mochte ich meine Frau nicht wissen lassen, dass wir ihre Pläne kannten, denn ich wollte unbedingt erfahren, wie weit diese reichten und wie weit sie ihre Tücken treiben würde. Die Briefe wurden immer interessanter (wie man es auch von Romanen sagt), je weiter sie gediehen. Mein Verhalten ihr gegenüber wurde geschildert, dass es einem das Herz brechen konnte. Es gab wohl keine Ungeheuerlichkeit,
der sie mich nicht bezichtigte, kein Barmen und Darben, das sie nicht erleiden zu müssen behauptete, während sie doch allem äußeren Anschein nach feist und behaglich in unserem Haus Castle Lyndon lebte. Eitelkeit und Romanlektüre hatten ihr das Hirn verdreht. Ich konnte ihr kein grobes Wort sagen (von denen sie wahrlich jeden Tag Tausende verdiente), ohne dass sie behauptete, ich unterzöge sie der Folter, und meine Mutter konnte ihr nicht den kleinsten Vorwurf machen, ohne dass sie hysterische Anfälle erlitt und erklärte, die werte alte Dame sei deren Ursache.
Schließlich drohte sie damit, sich umzubringen; zwar räumte ich keineswegs die Tafelmesser beiseite, hielt sie nicht knapp an Strumpfbändern und überließ ihr die Hausapotheke zur freien Verfügung, da ich ihr Wesen sehr gut kannte und wusste, es gab in der Christenheit keine Frau, die noch weniger Hand an ihr kostbares Leben legen würde als sie, doch zeigten diese Drohungen offensichtlich Wirkung bei denen, an die sie gerichtet waren, denn die
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