Die Memoiren des Grafen
Name.»
Aber nicht meine Schrift, hätte sie hinzufügen können.
Statt dessen lächelte sie ihren Besucher an.
«Ich schlage vor», sagte sie sanft, «wir setzen uns hin und besprechen die Sache.»
Er schien verwirrt. Diese Reaktion hatte er nicht erwartet. Sein Instinkt sagte ihm, dass sie sich keineswegs ängstigte.
«Zuerst möchte ich wissen, wie Sie mich gefunden haben.»
«Das war einfach.»
Er zog aus seiner Tasche die herausgerissene Seite einer Illustrierten und reichte sie Virginia. Anthony Cade hätte das Blatt sofort erkannt.
Sie gab die Zeitungsseite nachdenklich zurück.
«Tatsächlich», meinte sie, «das war wirklich einfach.»
«Sie wissen, Mrs Revel, dass dies nicht der einzige Brief ist. Es gibt noch andere.»
«Du liebe Güte», lächelte Virginia ihn freundlich an. «Ich scheine ja sehr leichtsinnig gewesen zu sein.»
Erneut konnte sie merken, dass ihr leichter Ton ihn aus der Fassung brachte. Sie unterhielt sich ausgezeichnet.
«Es ist sehr freundlich von Ihnen, herzukommen und mir die Briefe zurückzubringen.»
Eine Pause entstand, während der er sich räusperte.
«Ich bin ein armer Mann, Mrs Revel», erklärte er schließlich bedeutungsvoll.
«Den Armen gehört das Himmelreich, habe ich sagen hören.»
«Ich kann Ihnen diese Briefe nicht einfach zurückgeben.»
«Sie sind in einem kleinen Irrtum befangen. Diese Briefe gehören der Person, die sie schrieb.»
«Rechtlich wohl, Madam, aber man sagt auch: Besitz geht vor Recht. Und außerdem – würden Sie es auf eine gerichtliche Entscheidung ankommen lassen?»
«Das Gericht sieht eine schwere Strafe vor für Erpressung», erinnerte Virginia ihn.
«Hören Sie zu, Mrs Revel. Ich habe diese Briefe gelesen – es sind leidenschaftliche Liebesbriefe einer Frau an ihren Liebhaber. Soll ich sie Ihrem Mann aushändigen?»
«Sie haben leider eines vergessen. Diese Briefe sind vor mehreren Jahren geschrieben worden. Vielleicht ist mein Gatte inzwischen gestorben?»
Er schüttelte unbeirrt den Kopf.
«Wenn Sie nichts zu befürchten hätten, würden Sie nicht hier sitzen und mit mir verhandeln.»
Virginia lächelte.
«Wie viel verlangen Sie?», fragte sie geschäftsmäßig.
«Für tausend Pfund würde ich Ihnen sämtliche Briefe aushändigen. Ich weiß, dass ich zu wenig verlange, aber solche Geschäfte sind nicht mein Fall.»
«Ich denke nicht daran, Ihnen tausend Pfund zu bezahlen», erklärte Virginia entschieden.
«Madam, ich handle niemals. Tausend Pfund, und Sie erhalten die Briefe.»
Virginia überlegte.
«Sie müssen mir etwas Zeit lassen, um mich zu entscheiden. Es ist nicht leicht für mich, eine solche Summe aufzutreiben.»
«Geben Sie mir eine kleine Anzahlung – sagen wir fünfzig Pfund – und ich komme später wieder.»
Virginia blickte auf die Uhr. Es war fünf Minuten nach vier, und sie hörte ein Läuten an der Haustür. «Gut denn», erklärte sie hastig. «Kommen Sie morgen wieder, aber später – um sechs Uhr.»
Sie ging zum Schreibtisch, öffnete eines der Fächer und entnahm ihm eine Hand voll Banknoten.
«Hier sind ungefähr vierzig Pfund. Das muss Ihnen genügen.»
Er griff hastig danach.
«Und nun verschwinden Sie», drängte Virginia.
Er gehorchte schleunigst. Durch die geöffnete Tür erhaschte Virginia einen Blick auf George Lomax. Als die Hautür sich hinter dem Erpresser schloss, rief Virginia:
«George, bitte kommen Sie hier herein. Chilvers, bringen Sie uns Tee.»
Sie öffnete beide Fenster, und beim Eintreten sah George Lomax ihre windzerzausten Haare und ihre lachenden Augen.
«Ich schließe die Fenster gleich wieder, George – ich brauchte frische Luft. Haben Sie den Erpresser noch gesehen?»
«Wen?»
«Den Erpresser, George, Er-pres-ser. Einer, der erpresst.»
«Meine liebe Virginia, Sie sprechen doch nicht im Ernst?»
«Vollkommen im Ernst, George.»
«Wen wollte der Kerl erpressen?»
«Mich.»
«Aber beste Virginia, was haben Sie denn verbrochen?»
«Nichts. Der gute Mann hat mich mit jemandem verwechselt!»
«Sie haben hoffentlich sofort die Polizei verständigt?»
«Das ist mir nicht eingefallen. Sie natürlich hätten das sofort getan.»
«Hoffentlich haben Sie dem Mann wenigstens kein Geld gegeben?»
«Nur ganz wenig», lächelte Virginia.
«Wie viel?»
«Vierzig Pfund.»
«Virginia!»
«Ich hatte aber noch ein anderes Motiv, George – ein besseres. Wir Frauen gelten zwar im Allgemeinen als Katzen, aber jedenfalls habe ich heute Nachmittag einer
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