Die Menschenleserin
Dann würde sie die Schilder austauschen und ihm seine per Post zurückschicken. Das war illegal und ziemlich dumm.
Kein Mann würde so etwas jemals für einen anderen Kerl tun, nicht mal gegen Barzahlung. Aber Pell hatte Jennie geschickt, um das zu regeln – eine Frau mit enger Jeans, halb geöffneter Bluse und einem gut sichtbaren roten BH. (Wäre der Wagen von einer Frau verkauft worden, hätte Pell dafür gesorgt, dass Jennie sich konservativ kleidete und kein Make-up trug. Außerdem hätte er ihr vier Kinder verpasst, einen toten Soldaten als Ehemann sowie ein rosafarbenes Brustkrebsbändchen. Man konnte gar nicht zu dick auftragen, hatte er gelernt.)
»Wirklich gut. Ach, kann ich bitte die Schlüssel haben?« Sie gab sie ihm.
»Hier sind die anderen Sachen, die du haben wolltest.« Jennie stellte zwei Einkaufstüten auf das Bett. Pell überprüfte den Inhalt und nickte beifällig.
Sie nahm sich eine Limonade aus dem kleinen Kühlschrank. »Schatz, darf ich dich etwas fragen?«
Seine natürliche Abneigung, auf Fragen zu antworten – zumindest wahrheitsgemäß -, machte sich wieder mal bemerkbar. Doch er lächelte. »Aber ja, alles.«
»Letzte Nacht hast du etwas im Schlaf gesagt. Du hast über Gott geredet.«
»Gott. Was habe ich denn gesagt?«
»Das konnte ich nicht verstehen. Aber ein Wort war eindeutig ›Gott‹.«
Pells Kopf drehte sich langsam in ihre Richtung. Er fühlte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte, und ertappte sich dabei, dass er mit dem Fuß wippte, was er sogleich wieder abstellte.
»Du warst ganz aufgewühlt. Erst wollte ich dich wecken, aber das ist nicht gut. Ich hab das irgendwo mal gelesen. In Readers’ Digest . Oder in Health . Keine Ahnung. Wenn jemand einen Albtraum hat, soll man ihn auf keinen Fall aufwecken. Und du hast etwas gesagt wie ›Scheiße, nein.‹«
»Das habe ich gesagt?«
Jennie nickte. »Was echt komisch war. Weil du doch nie fluchst.«
Das stimmte. Leute, die Schimpfwörter benutzten, hatten sehr viel weniger Macht als Leute, die das nicht taten.
»Worum ging es in deinem Traum?«, fragte sie.
»Ich kann mich nicht daran erinnern.«
»Ich hab mich nur gefragt, warum du von Gott geträumt hast.«
Einen Moment lang verspürte er den seltsamen Drang, ihr von seinem Vater zu erzählen. Dann riss er sich zusammen: Was, zum Teufel, denkst du dir dabei?
»Keine Ahnung.«
»Ich bin so halbwegs religiös«, sagte sie unschlüssig. »Ein bisschen. Eher spirituelles Zeug als Jesus, du weißt schon.«
»Na ja, was Jesus angeht, glaube ich nicht, dass er der Sohn Gottes war oder so, aber ich respektiere Ihn, das kannst du mir glauben. Er konnte jeden dazu kriegen, alles zu tun, was er wollte. Ich meine, sogar heutzutage, du erwähnst einfach den Namen, und, peng, die Leute machen sofort tierisch viel Aufhebens. Das ist Macht. Aber bei all diesen organisierten Religionen muss man zu viel aufgeben, um dazuzugehören. Man darf nicht so denken, wie man will. Die kontrollieren dich.«
Pell musterte ihre Bluse, den BH... Der Druck wurde wieder stärker, der Ballon, der in seinem Innern anwuchs.
Er versuchte, das Gefühl zu ignorieren, und widmete sich wieder den Notizen, die er aufgrund seiner Onlinerecherchen und der Landkarte erstellt hatte. Jennie hätte ihn gern ohne Umschweife gefragt, was er vorhatte, konnte sich aber nicht dazu durchringen. Sie hoffte inständig, dass er nach Wegen suchte, die sie aus der Stadt und letztlich nach Orange County führen würden.
»Ich muss mich noch um ein paar Dinge kümmern, Baby. Und ich werde dich bitten müssen, mich zu fahren.«
»Klar. Sag nur, wann.«
Er konzentrierte sich auf die Karte. Als er aufblickte, sah er, dass Jennie weggegangen war.
Gleich darauf kehrte sie zurück und brachte einige Dinge mit, die sie aus einer Tüte im Wandschrank geholt hatte. Sie legte sie auf dem Bett vor ihn hin und kniete sich auf den Boden. Als würde ein Hund seinem Herrn einen Ball bringen und ihn zum Spielen auffordern.
Pell zögerte. Aber dann rief er sich ins Gedächtnis, dass es in Ordnung ist, von Zeit zu Zeit ein wenig Kontrolle abzugeben, sofern die Umstände es erlauben.
Er griff nach ihr, aber sie legte sich schon von allein hin und rollte sich auf den Bauch.
Es gibt zwei Möglichkeiten, von Monterey nach San Jose zu gelangen. Man kann auf dem Highway 1 bleiben, der sich die Küste entlangschlängelt, und hinter Santa Cruz auf den schwindlig machenden Highway 17 wechseln, mitten durch das kunstbeflissene Los
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