Die Menschenleserin
Mann?«, fragte Dance.
Sie nickte.
»Er weiß nichts?«
»Er ahnt nicht mal etwas.«
Erstaunlich, dachte Dance. »Weiß irgendjemand Bescheid?«
»Ein paar der Sachbearbeiter im Gerichtsgebäude, wo ich meinen Namen geändert habe. Und mein Bewährungshelfer.«
»Was ist mit Freunden und Verwandten?«
»Meine Mutter ist tot. Meinem Vater bin ich völlig gleichgültig. Die beiden hatten schon nichts mehr mit mir zu tun, bevor ich Pell getroffen habe. Nach den Croyton-Morden haben sie auch nicht mehr auf meine Anrufe reagiert. Und meine alten Freunde? Einige haben eine Weile den Kontakt gehalten. Aber wer will schon mit jemandem wie Daniel Pell in Zusammenhang gebracht werden? Sagen wir einfach, sie haben die erstbesten Gelegenheiten genutzt, um aus meinem Leben zu verschwinden. Alle meine heutigen Freunde und Bekannten habe ich kennengelernt, nachdem ich Sarah geworden war.« Sie schaute erneut zum Haus, dann wieder nervös zu Dance. »Was wollen Sie?«, flüsterte sie.
»Ich bin sicher, Sie haben die Nachrichten verfolgt. Wir haben Pell noch nicht aufgespürt. Aber er bleibt in der Gegend um Monterey. Und wir kennen den Grund dafür nicht. Rebecca und Linda kommen, um uns zu helfen.«
»Wirklich?« Sie schien überrascht zu sein.
»Und ich möchte Sie bitten, ebenfalls zu uns zu kommen.«
» Ich ?« Ihr Unterkiefer zitterte. »Nein, nein, das kann ich nicht. Oh, bitte...« Ihre Stimme schlug fast um.
Dance sah, dass sie am Rand der Hysterie stand. »Keine Sorge«, versicherte sie schnell. »Ich werde nicht Ihr Leben ruinieren. Von mir erfährt niemand etwas über Sie. Ich bitte lediglich um Ihre Hilfe. Wir durchschauen ihn nicht. Vielleicht wissen Sie etwas...«
»Ich weiß gar nichts. Ehrlich. Daniel Pell ist nicht wie ein Ehemann oder Bruder oder Freund. Er ist ein Ungeheuer. Er hat uns benutzt. Das ist alles. Ich habe zwei Jahre mit ihm zusammengelebt und könnte Ihnen dennoch nicht mal ansatzweise erzählen, was in seinem Kopf vorgeht. Sie müssen mir glauben. Ich schwöre.«
Klassische Anzeichen der Verleugnung, die in diesem Fall nicht von einer versuchten Irreführung herrührten, sondern von einer Vergangenheit, der die Frau sich nicht stellen konnte.
»Sie werden hundertprozentig geschützt, falls es das ist, was...«
»Nein. Es tut mir leid. Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen. Sie müssen das verstehen. Ich habe mir ein vollkommen neues Leben geschaffen. Aber es hat unglaublich viel Arbeit erfordert … und es ist so zerbrechlich.«
Ein Blick in ihr Gesicht, in die entsetzten Augen, auf den bebenden Kiefer verriet Dance, dass sie auf keinen Fall einwilligen würde.
»Ich verstehe.«
»Es tut mir leid. Ich kann einfach nicht.«
Samantha drehte sich um und ging zur Veranda. An der Tür blickte sie zurück und lächelte strahlend.
Hat sie etwa ihre Entscheidung geändert?, hoffte Dance für einen Moment.
Dann winkte die Frau. »Auf Wiedersehen!«, rief sie. »Wie schön, dass Sie vorbeigekommen sind.«
Samantha McCoy und ihre Lüge kehrten ins Haus zurück. Die Tür ging zu.
... Vierundzwanzig
»Haben Sie das mitbekommen?«, fragte Susan Pemberton den Mann, der ihr am Tisch der Hotelbar gegenübersaß, und schüttete Zucker in ihren Milchkaffee. Sie deutete auf einen Fernsehschirm, auf dem ein Foto von Daniel Pell sowie eine Telefonnummer zu sehen waren.
Ausbruch-Hotline .
»Müsste es nicht Ausbrecher -Hotline heißen?«, fragte César Gutierrez.
Susan sah ihn verwundert an. »Ich weiß es nicht.«
»Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich wollte nicht oberflächlich erscheinen«, fuhr der Geschäftsmann fort. »Es ist schrecklich. Er hat zwei Menschen getötet, habe ich gehört.« Der gut aussehende Latino streute Zimt auf seinen Cappuccino und trank einen Schluck, bevor er bemerkte, dass auch seine Hose ein wenig von dem Gewürz abbekommen hatte. »Oh, sehen Sie sich das an. Ich bin ja so ein Tollpatsch.« Er lachte. »Mit mir kann man sich nirgendwo blicken lassen.«
Er wischte über den Fleck, was alles nur noch schlimmer machte. »Oje.«
Dies war ein geschäftliches Treffen. Susan, die für eine Veranstaltungsagentur arbeitete, sollte eine Jubiläumsfeier für die Eltern von Gutierrez organisieren – aber da sie gegenwärtig ungebunden war, schätzte die Neununddreißigjährige ihn außerdem aus einer persönlichen Perspektive ein. Immerhin war er nur wenige Jahre älter als sie und trug keinen Ehering.
Die Einzelheiten der Party waren geklärt – harte Drinks
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