Die merkwuerdigen Faelle des Dr. Irabu
Austragungsort der Olympischen Sommerspiele 1964 stieß er zusammen mit den Abgeordneten, die sich für die Werbekampagne abgemüht hatten, auf den Erfolg an. Bei der Eröffnung der Stadtautobahn oder der Inbetriebnahme des Shinkansen war er so froh, als wäre es um ihn persönlich gegangen. Er selbst hatte sich ein Haus gebaut, denn auch Normalbürger konnten sich damals schon ein Eigenheim leisten. Der Plan von Premierminister Kakuei Tanaka für eine völlige Neugestaltung des japanischen Archipels Anfang der Siebziger betrachtete er einerseits mit Misstrauen, doch irgendwo in seinem Herzen fand er auch seine Zustimmung. Ganz Japan wurde durch Straßen und große Brücken verbunden. Als man in Shinjuku begann, Hochhäuser zu bauen, und er vor einem in den Himmel emporragenden Eisengerüst stand, empfand er großen Stolz: Japan
war wieder wer! Es hatte die vollständige Kriegsniederlage überwunden. In jenem Moment spürte er dieses Gefühl in sich wie nie zuvor.
Doch irgendwann verflüchtigte sich dieses Hochgefühl über den Fortschritt seines Landes. Als die Ära des Showa-Kaisers zu Ende ging, verschwand auch das Wort Nachkriegszeit aus dem Vokabular des Alltags. Die Gegenwart hatte seine einstigen Vorstellungen schon überstiegen. Das verwüstete Tokio war nun ein weltberühmtes Babel. Die Bürger waren wohlhabend, aßen gut, kleideten sich elegant. Kaum einer wusste noch, wie dankbar man für Frieden sein musste. Er selbst stellte keine Ausnahme dar. Die Erinnerung an den Krieg war zwar nicht verschwunden, doch war er nicht mehr täglich dankbar für Ruhe und Frieden.
»Was ist denn mit Ihnen, Herr Tanabe? Auf einmal so still?«, sagte Irabu plötzlich vom Fahrersitz her.
»Ach, es ist nichts. Ich dachte nur, wie Tokio sich verändert hat.«
»Sie sind aber komisch. Wo Sie doch hier leben!«
»Leben? Ich versuche Schritt zu halten. Tokio ist wie ein Kind in der Pubertät. Verliert man es für eine Weile aus den Augen, erkennt man es beim nächsten Mal kaum wieder.«
»Wir sind halt im einundzwanzigsten Jahrhundert. Das moderne Tokio hat sozusagen eine Runde hinter sich gebracht, und nun hat die nächste begonnen.«
Wieder blickte Mitsuo auf die Lichter der Stadt. Ach ja, es war das 21. Jahrhundert. Das hatte er ganz vergessen. Die Zukunft, die er sich in seinen jungen Jahren erträumt hatte, war schon lange da.
»Die Zeiten ändern sich eben.«
Offensichtlich. Die Alten hatten schon lange ausgedient. Und was war mit der Stadt? Eine andere Art von Energie pulsierte in ihr, die sich von der Nachkriegszeit unterschied. Eine neue Generation
hatte das Ruder übernommen. Das war ihm bewusst, mehr als ihm lieb war, aber trotzdem …
Hinter sich hörten sie auf einmal das Heulen einer Polizeisirene.
»Oh, da habe ich wohl etwas übertrieben. Bin wohl etwas zu flott gefahren.«
»Schon gut. Fahren Sie runter von der Autobahn.«
»Was ist mit den Paparazzi?«
»Ist egal. Ich bin müde.«
Eine Ruhe durchströmte Mitsuo. Ja, warum nicht aufhören, mit allem.
Er sah den beleuchteten Fernsehtum von Tokio. Der große Eisenturm, der für lange Zeit eigentlich der Gulliver in der Stadt sein sollte, war schon längst von Hochhäusern eingekreist und hatte sich der Umgebung angepasst. Ja, die Zeiten hatten sich geändert.
Am nächsten Tag sah sich Mitsuo nach langer Zeit wieder einmal andere Tageszeitungen an. Vor allem die Boulevardblätter hatte er seit fünf, sechs Jahren nicht mehr in die Hand genommen. Nicht, weil er kein Interesse an Nachrichten hatte. Er hatte sie bewusst gemieden, aus Angst, gleich auf der Titelseite mit einem Schnappschuss von sich konfrontiert zu werden. Nabemann , der kein Blatt vor den Mund nahm, hatte schon seit über zehn Jahren bei den Zeitungen die Rolle des idealen Bösewichts inne. Von Anfang an war Mitsuo das zuwider. Wer mochte es mit über sechzig Jahren schon, sein Konterfei in der Zeitung zu sehen? Selbst wenn er jünger ausgesehen hätte, konnte man kaum leugnen, dass seine Gesichtszüge im Vergleich zu früher schlaff geworden waren. Menschen leben immer mit einem Bild ihrer Jugend in sich. Wer will schon mit dem der Wirklichkeit konfrontiert werden?
Nabemann - Raserei auf der Stadtautobahn .
Er seufzte. Was war denn mit den Reportern, die ihn gejagt hatten?
Nabemann dreht durch - Rennfahrt auf öffentlicher Straße .
Er hasste den Boulevardjournalismus, wie man nur etwas hassen konnte.
Ein Foto von Irabu, wie er gerade das Victoryzeichen macht, war in der
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