Die merkwuerdigen Faelle des Dr. Irabu
›verfrühtes Alzheimersyndrom‹? Das ist doch absurd«, sagte Takaaki und winkte zum Zeichen der Verneinung hastig mit der Hand. »Bei mir ist jeden Tag die Hölle los. Auf dem Aktienmarkt muss man aufpassen wie ein Schießhund und durch eine in einem Augenblick getroffene Entscheidung werden zig Millionen Yen bewegt. Ich führe täglich Gespräche mit mindestens zehn Kunden, die ich mir alle behalten muss. Das ist wie bei einer Barhostess in Ginza, die alle halbe Stunde zum nächsten Kunden weiterrückt. Einen Schnitzer kann ich mir da nicht leisten, und ich kann Ihnen sagen: Deren Daten habe ich alle im Kopf. Sie glauben doch nicht, dass ich eine solche Arbeit mit Alzheimer bewältigen könnte.«
»Aber Hiragana vergessen Sie.«
Der Typ ließ einfach nicht locker, ärgerte sich Takaaki. War der begriffsstutzig, oder was?
»So was passiert eben mal. Ich habe Ihnen doch gerade geschildert, wie’s bei mir zugeht, und da ist ein vergessenes Schriftzeichen das Geringste meiner Probleme. Schlimmer
wäre es, wenn ich mein Passwort für den Computer vergessen würde.«
»Begrüßungen sind auch nicht Ihre starke Seite.«
»Na und? ›Tach‹, reicht doch vollkommen.«
»Stimmt auch wieder«, nickte Irabu mit verschränkten Armen.
Unter Takaakis Kommilitonen gab es viele Ärzte, die allesamt zu den Besten ihres Jahrgangs gehörten. War die Neurologie etwa die Fachrichtug der Versager, die es nicht bis zum OP geschafft hatten? Takaaki zweifelte nicht eine Sekunde, dass er es hier mit einem solchen zu tun hatte.
»Na gut, geben wir Ihnen erst einmal eine Spritze«, sagte Irabu plötzlich mit fröhlicher Stimme. »Mayumi-chan, kommst du mal eben?«
Der Vorhang im Behandlungsraum öffnete sich, und heraus kam eine aufreizende Krankenschwester in weißem Minirock und mit Tablett, auf dem eine Spritze lag.
»Also, ich weiß nicht …«
Takaaki war verdattert und ehe er es sich versah, waren auch schon Injektionstisch und Desinfektionslösung bereitgestellt.
»Bestens«, lachte Irabu übers ganze Gesicht und streckte seinen massigen Körper nach vorne.
»Moment mal.« Takaaki machte eine abwehrende Handbewegung und fuhr mit entschlossener Stimme fort: »Ich möchte erst einmal wissen, für was diese Spritze gut sein soll.«
»Keine Sorge, die wirkt gegen Vergesslichkeit«, antwortete Irabu mit einem Gesicht wie eine Tunte auf Kundenfang und streckte seine Hand nach Takaakis Arm aus.
»Nee, mit mir nicht!«
Takaaki versteckte seinen Arm hinter seinem Rücken.
»Ich verlange eine Erklärung. Ohne ›informierte Einwilligung‹ lasse ich mich auf nichts ein. Heutzutage ist es üblich, den Patienten über die Behandlungsmethode aufzuklären, und
erst, nachdem dieser sich einverstanden erklärt hat, damit zu beginnen.«
»Sie sind aber gar nicht lieb.« Irabu zog die Stirn kraus. »Können Sie nicht ohne was zu sagen einfach die Spritze akzeptieren?«
»Natürlich nicht. Sagen Sie mir, was für eine Spritze das ist.«
»Na ja, das ist eigentlich nur eine Traubenzuckerlösung.«
»Und warum wollen Sie mir die injizieren?«
Irabu schwieg, zog eine Schnute und sah Takaaki an wie ein Kind, das bei einem Streich erwischt worden war.
»Herr Doktor, warum versuchen wir nicht die bewährte Methode?«, hörte er von der Seite die schläfrige Stimme der Krankenschwester.
Bewährte Methode? Takaaki stutzte.
Irabu blickte auf die Krankenschwester und nickte eifrig. »Ja, ja, so machen wir’s!«
Was waren das für Leute? Während er noch überlegte, wie er sich verhalten sollte, bückte sich auf einmal die Krankenschwester mit einem gewinnenden Lächeln zu ihm hinunter. Der Duft der jungen Frau wehte zu ihm. »Herr Direktor«, zwinkerte sie ihm zu. Ihr Ausschnitt näherte sich seinem Gesicht und zog ihn in seinen Bann.
Im nächsten Augenblick ergriff Irabu seinen Arm. »Hab dich, haha«, lachte er und ehe Takaaki sich versah, wurde sein Arm auf den Injektionstisch geschnallt.
»He, was soll denn das?«, empörte sich Takaaki. Von oben hielt ihn der massige Irabu fest, so dass er sich nicht rühren konnte.
»Das kann doch nicht wahr sein! Unterlassen Sie das gefälligst. Finden Sie das etwa in Ordnung, was Sie hier machen?«
»Sie sind vielleicht nervig. Ein IT-Millionär sollte nicht so kleinlich sein. Also, Mayumi-chan, dann mach mal schnell.«
Die Krankenschwester lächelte ihn von oben kalt wie eine Domina an und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Da stach die Nadel durch seine Haut.
»Autsch!«,
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