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Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Titel: Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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hellblauen Augen des Weberlehrlings waren zornig zusammengekniffen, und bevor Dario ausweichen konnte, hatte er ihm einen Schlag versetzt, der den Spiegelschüler gegen die Werkbank schleuderte, hinter der Junipa Schutz gesucht hatte. Dario machte einen Satz über die Bank hinweg, um sie zwischen sich und seinen Gegner zu bringen. Junipa wich erschrocken einen Schritt zurück. Serafin aber folgte Dario und wollte ihn abermals packen. Darios Nase blutete, der letzte Stoß hatte ihn geschwächt. Statt sich seinem Widersacher zu stellen, wirbelte er herum, packte die überraschte Junipa mit beiden Händen an den Schultern, zerrte sie grob vor sich und gab ihr einen kraftvollen Stoß, der sie in Serafins Richtung stolpern ließ.
    Merle stieß einen wütenden Schrei aus. »Dieser Feigling!«
    Der Weberjunge sah Junipa auf sich zufliegen, sah auch Dario, der gleich hinterhersetzte, um seine Chance zu nutzen. Serafin hatte die Wahl: Er konnte Junipa auffangen, um zu verhindern, dass sie in ein Regal mit Glasflaschen stürzte - oder er konnte ihr ausweichen und sich gegen seinen Erzfeind zur Wehr setzen.
    Serafin griff zu. Er bekam Junipa zu fassen und hielt sie einen Moment lang in einer Umarmung, die sie zugleich schützen wie auch besänftigen sollte. »Schon gut«, flüsterte er ihr zu, »dir passiert nichts.«
    Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, da rammte Dario seine Faust über Junipas Schulter hinweg in Serafins Gesicht.
    »Nein!«, brüllte Merle aufgebracht, sprang an Boro und Tiziano vorüber, lief um die Werkbank und zerrte Dario von Serafin und Junipa fort.
    »Was tust du?«, keifte der ältere Junge, aber da hatte sie ihn schon rückwärts zu Boden gerissen.
    Ganz kurz fing sie Serafins Blick auf, als er Junipa vorsichtig zur Seite schob. Er lächelte zwischen grüner Farbe und Blut, dann eilte er zurück zu seinen Freunden am Eingang.
    »Wir verschwinden«, sagte er, und einen Augenblick später waren die Weber fort.
    Merle achtete nicht auf Dario, sondern wandte sich Junipa zu, die verstört vor dem Flaschenregal stand.
    »Alles in Ordnung?«
    Junipa nickte. »Ja… danke. Schon gut.«
    Hinter Merles Rücken begann Dario zu fluchen und zu zetern; sie konnte spüren, dass er ihr bedrohlich nahe kam. Abrupt wirbelte sie herum, blickte tief in seine schmalen Augen und versetzte ihm mit aller Kraft eine Ohrfeige.
    Bevor Dario sich auf sie stürzen konnte, war plötzlich Unke zwischen ihnen. Merle spürte den kräftigen Griff, als die Haushälterin sie an der Schulter packte und von Dario fortzog. Aber sie hörte nicht, was Unke sagte, hörte auch nicht die groben Beschimpfungen von Dario, der sich nicht beruhigen konnte. Nachdenklich schaute sie hinaus auf den Korridor, in dem Serafin mit seinen Freunden verschwunden war.

Unkes Geschichte

    »Und was, bitte, soll ich nun mit euch anstellen?«
    Die Stimme des Meisters klang eher enttäuscht als verärgert. Arcimboldo saß hinter seinem Studiertisch in der Bibliothek. Die Wände des Raumes waren mit ledernen Buchrücken bedeckt. Merle fragte sich, ob er all diese Bände tatsächlich gelesen hatte.
    »Der Schaden, den die Weberlehrlinge mit ihrer Farbkleckserei angerichtet haben, ist kaum erwähnenswert angesichts dessen, was ihr beiden getan habt«, fuhr Arcimboldo fort und ließ seinen Blick dabei von Dario auf Merle und wieder zurück wandern. Die beiden standen vor dem Studiertisch und schauten betreten zu Boden. Ihre Wut aufeinander war keineswegs verraucht, doch selbst Dario schien einzusehen, dass es angebracht war, sich zurückzuhalten.
    »Ihr habt einen Streit unter Schülern entfacht. Und ihr habt andere verleitet, Partei zu ergreifen. Wäre Unke nicht eingeschritten, hätten sich Junipa, Boro und Tiziano für einen von euch entscheiden müssen.« Ein zorniges Funkeln erschien in den Augen des alten Mannes, er wirkte jetzt streng und unnahbar. »Ich kann nicht zulassen, dass ihr meine Schülerschaft entzweit. Was ich verlange, ist Zusammenarbeit und das Vermeiden aller unnötigen Konflikte. Zauberspiegel brauchen eine gewisse Harmonie, um zu dem heranzureifen, was sie sind. In einer Atmosphäre der Feindschaft legt sich ein Schatten über das Glas, der es blind werden lässt.«
    Merle hatte das Gefühl, dass er schwindelte. Er wollte ihnen Schuldgefühle einreden. Dabei hätte es ihm besser zu Gesicht gestanden, wenn er sich nicht allzu laut zu »überflüssigen Konflikten« geäußert hätte: Immerhin war es überhaupt erst der kindische Streit

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