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Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Titel: Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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»Immerhin spricht einiges dafür.«
    »Aber das würde ja bedeuten, dass ich heute Menschen in dieser Glaskugel eingesperrt habe!«
    »Mach dir keine Sorgen. Ich hab gesehen, wie Arcimboldo sie in den Kanal wirft. Sie werden da schon irgendwie wieder rauskommen.«
    »Jetzt verstehe ich auch, was er gemeint hat, als er sagte, die Schemen könnten sich in den Spiegelbildern auf dem Wasser einnisten.« Sie atmete tief durch. »Arcimboldo weiß es! Er kennt die Wahrheit!«
    »Was willst du jetzt tun? Ihn danach fragen?«
    Sie zuckte die Achseln. »Warum nicht?« Sie kam nicht dazu, den Gedanken weiterzuspinnen, denn mit einem Mal war da eine Bewegung auf dem Wasser. Als sie genauer hinschaute, glitt ein Umriss über die Oberfläche des Kanals auf sie zu.
    »Ist das -« Sie brach ab, als ihr klar wurde, dass diese Spiegelung keine Täuschung war.
    »Zurück!« Serafin hatte es ebenfalls gesehen.
    Sie huschten in die Gasse und pressten sich eng gegen die Wand.
    Von links glitt etwas Großes über das Wasser, ohne es zu berühren. Es war ein Löwe mit mächtigen Schwingen aus Federn; wie der ganze Körper waren auch sie aus Stein. Ihre Spitzen berührten zu beiden Seiten des Kanals fast die Hauswände. Der Löwe flog nahezu lautlos, nur seine gemächlichen Flügelschläge erzeugten ein feines Säuseln wie Atemzüge. Eisig blies ihr Luftzug Merle und Serafin ins Gesicht. Die enorme Masse und Schwere dieses Körpers täuschte, er hielt sich so federleicht in der Luft wie ein Vogel. Seine Vorder- und Hinterläufe waren angewinkelt, das Maul fest geschlossen. Hinter seinen Augen funkelte eine verwirrende Schläue, weit schärfer als der Verstand gewöhnlicher Tiere.
    Ein Soldat saß grimmig auf dem Rücken des Löwen. Seine Uniform war aus schwarzem Leder und mit Nieten aus Stahl besetzt. Ein Leibgardist der Ratsherren, abgestellt, einen der Hohen Herren persönlich zu beschützen. Man begegnete ihnen nur selten, und falls doch, verhieß es meist nichts Gutes.
    Der Löwe schwebte mit seinem Meister an der Gassenmündung vorüber, ohne die beiden zu bemerken. Merle und Serafin wagten nicht zu atmen, bis die fliegende Raubkatze sie weit hinter sich gelassen hatte. Vorsichtig beugten sie sich vor und sahen, wie der Löwe an Höhe gewann, den engen Kanalschacht verließ und über den Dächern des Viertels zu einer weiten Schleife ansetzte. Dann verloren sie ihn aus den Augen.
    »Er kreist«, stellte Serafin fest. »Derjenige, den er bewacht, kann nicht weit sein.«
    »Ein Stadtrat?«, flüsterte Merle. »Um diese Uhrzeit? In diesem Viertel? Nie im Leben. Die verlassen ihre Paläste nur, wenn es unbedingt sein muss.«
    »Es gibt nicht viele Löwen, die fliegen können. Die wenigen, die übrig geblieben sind, entfernen sich niemals weiter als nötig von ihren Herren.« Serafin holte tief Luft. »Einer der Räte muss ganz in der Nähe sein.«
    Als wollte der Zufall seine Worte unterstreichen, ertönte aus der Schwärze des Nachthimmels das Grollen eines Fluglöwen. Ein zweiter beantwortete den Ruf. Dann ein dritter.
    »Es sind mehrere.« Merle schüttelte verständnislos den Kopf. »Was tun die hier?«
    Serafins Augen leuchteten. »Wir könnten’s herausfinden.«
    »Und die Löwen?«
    »Ich bin schon öfter vor welchen davongelaufen.«
    Merle war nicht sicher, ob er prahlte oder die Wahrheit sagte. Vielleicht beides. Sie kannte ihn einfach nicht gut genug. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie ihm trauen konnte. Trauen musste, wie es im Augenblick aussah - denn Serafin hatte sich schon auf den Weg zum anderen Ende der Gasse gemacht.
    Sie eilte hinter ihm her, bis sie wieder auf einer Höhe waren. »Ich hasse es, anderen Leuten nachlaufen zu müssen.«
    »Manchmal hilft es, Entscheidungen zu treffen.«
    Sie schnaubte. »Noch viel mehr hasse ich es, wenn andere mir meine Entscheidungen abnehmen wollen.«
    Er blieb stehen und hielt sie am Arm zurück. »Du hast Recht. Das hier müssen wir beide wollen. Es könnte ziemlich gefährlich werden.«
    Merle seufzte. »Ich bin keines von diesen Mädchen, die leicht aufgeben - also behandle mich nicht wie eines. Und ich hab auch keine Angst vor fliegenden Löwen.« Natürlich nicht, setzte sie in Gedanken hinzu, ich bin ja auch noch von keinem gejagt worden.
    »Kein Grund, gleich eingeschnappt zu sein.«
    »Bin ich gar nicht.«
    »Bist du doch.«
    »Und du suchst ständig Streit.«
    Er grinste. »Berufskrankheit.«
    »Aufschneider! Du bist ja gar kein Dieb mehr.« Sie ließ ihn stehen und lief

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