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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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hatte, führte die Flasche dann erneut an seinen Mund. Das Gleiche tat sie vier- oder fünfmal, und jedes Mal ließ sie ihn ein wenig mehr trinken.
    Schließlich deutete er ein Kopfschütteln an. Genug.
    Sie wischte den Verschluss an ihrem Kleid ab und schraubte ihn sorgfältig zu. Möglich, dass sie noch lange mit ihren Wasservorräten auskommen mussten. Die erste Flasche hatte Merle schon verbraucht, dies hier war die zweite - und sie war beinahe leer. Blieb ihnen nur noch die dritte und letzte.
    Sie steckte die Flasche zurück zu den übrigen Sachen in ihren Rucksack.
    »Danke«, kam es über die Lippen des Mannes. Sie hatte ihn nicht sprechen sehen, so als hätte er weder Zunge noch Kiefer bewegt, aber sie konnte ihn ganz deutlich hören.
    »Ich… danke dir.« Er benutzte ihre Sprache, mit einem fast unmerklichen Akzent.
    Merle half ihm, sich aufzusetzen. Mit dem Rücken lehnte sie ihn gegen die Innenseite der Steinlippe. Wieder fiel ihr auf, wie leicht sein Haar war, fast so, als wäre es gar nicht da. Blütenblätter fühlten sich so an.
    »Wie ist dein Name?«, fragte sie ihn.
    »Winter.«
    Blütenblätter - oder Schneeflocken.
    »Winter? Wie noch?«
    »Nur Winter.«
    Sie musterte ihn irritiert, dann grinste sie. »Ich bin Merle. Nur Merle.«
    Er war geschwächt, seine Hände zitterten leicht. Aber Merle brauchte nur in seine Augen zu schauen, um zu erkennen, dass er hellwach war. Er sah und hörte sie genau, und er dachte nach. Angestrengt.
    »Was tust du hier?«, fragte er.
    Das klang nicht besonders höflich, und ihm musste auffallen, dass Merle die Stirn runzelte. Trotzdem bat er sie nicht um Verzeihung, vielmehr wiederholte er seine Frage.
    »Wir hätten uns nicht um ihn kümmern sollen«, sagte die Fließende Königin spröde.
    Merle dachte zum ersten Mal, dass sie vielleicht Recht hatte. Aber das würde sie nicht zugeben. Wahrscheinlich hatte die Königin es ohnehin in ihren Gedanken gelesen.
    »Wir sind auf der Durchreise«, sagte sie hastig, was in Anbetracht der Umstände ziemlich blödsinnig klang. Aber etwas Besseres fiel ihr auf die Schnelle nicht ein.
    Winter lächelte. Seine Augen blitzten. Aber er stellte ihre Worte nicht in Frage.
    »So wie ich«, sagte er.
    »Wohin willst du?«
    »Es gibt hier unten nur ein einziges Ziel.«
    Hier unten, hatte er gesagt. Das mochte ein Hinweis darauf sein, dass auch er von oben kam, aus ihrer Welt.
    »Und welches ist das?«, fragte sie unschuldig.
    »Axis Mundi.«
    »Axis - was?«
    »Axis Mundi«, sagte die Fließende Königin. »Die Achse der Welt.«
    »Die Stadt Lord Lichts«, sagte Winter. »Ich nehme an, dahin seid auch ihr unterwegs.«
    Er wusste also, dass Merle nicht allein war. Sie erinnerte sich, wie er sie angesehen hatte, als sie noch im vorderen Schädel gewesen war.
    Als wollte er ihren Gedanken bestätigen, sagte er: »Das war ziemlich mutig vorhin, von dir und deinem Löwen.«
    »Er ist nicht mein Löwe.«
    »So?«
    »Nur mein Freund.«
    »Dein Freund?« Er lächelte wieder, und diesmal zuckten auch seine Mundwinkel. »Ihr Menschen seid seltsame Wesen. Ein und dasselbe Wort, und trotzdem nehmt ihr Anstoß daran. Mein Löwe, mein Freund… Merkwürdig, nicht wahr?«
    »Dann bist du kein Mensch?«
    »Ich bin Winter.«
    »Jetzt kommt’s«, raunte die Königin.
    Aber Winter schwieg, ohne weitere Erklärungen.
    »Kommst du von oben?«, fragte Merle.
    »Ja.«
    »Warum bist du hier?«
    »Ich bin auf der Suche.«
    »Nach was?«
    »Nach jemandem.« »Wie lange bist du schon hier unten?«
    »Lange Zeit.«
    »Länger als ein Jahr?«
    »Ich weiß nicht, wie lang ein Jahr ist.«
    »Aber du hast gesagt, du kommst von oben.«
    »Für mich gibt es keine Jahre. Nur Winter.«
    »Er ist verrückt«, sagte die Fließende Königin.
    »Wenn du Winter sagst, meinst du dann die Jahreszeit?« »Ich bin Winter.«
    »Ja, das hab ich verstanden. Aber du sagst, dass du -«
    Er lehnte sich mit einem Ruck vor, so schnell, dass sie erschrak und instinktiv ein Stück zurückwich. Er kümmerte sich nicht darum, beugte sich nur noch weiter auf sie zu.
    »Ich bin das Eis. Und der Schnee. Und die Kälte.«
    Merle verkniff sich ein Grinsen. »Du bist der Winter?« Er nickte, sichtlich zufrieden, und lehnte sich wieder zurück.
    »Wie der Sommer? Der Herbst?«
    Erneut nickte er.
    Wunderbar, dachte sie. Ganz großartig. So einer hat uns gerade noch gefehlt.
    »Siehst du«, sagte die Königin.
    »Ich hasse es, wenn du das sagst«, knurrte Merle.
    »Ich weiß.«
    Winters Augenbrauen

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