Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
hineintauchen?«
    Er grinste triumphierend. »Um zu sehen, was geschieht, natürlich! Das Licht verändert jedes lebende Wesen, es verbindet sich damit und macht etwas Neues daraus. Die steinernen Herzen sind Teile des Lichts, kleine Bruchstücke, und sie nehmen den Körpern ihren eigenen Willen. Danach können wir mit ihnen tun, was uns beliebt. Das hat sich vor allem bei einigen der widerspenstigeren Lilim als ziemlich praktikabel erwiesen.«
    Also hatten sich nicht alle Lilim bereitwillig unter seine Herrschaft begeben. Es gab Aufrührer. Potenzielle Gegner.
    Merle und Burbridge standen jetzt am inneren Geländer des runden Gitterstegs. Ganz in der Nähe befanden sich die ersten reglosen Steinfiguren, die den gesamten Kreis flankierten.
    »Wir haben es mit den Golems versucht«, fuhr Burbridge fort. »Statuen, Körper, gehauen aus Stein. Wir haben sie an den Ketten ins Licht hinabgelassen, und als wir sie wieder heraufzogen, lebten sie.«
    Merles Blick huschte über die endlose Reihe der steinernen Gestalten. Sie hatten menschliche Form, gewiss, aber ihre Proportionen waren zu massig, ihre Schultern zu breit, die Gesichter glatt wie Kugeln.
    Der Professor verzog die Mundwinkel. Dann rief er laut ein Wort in einer Sprache, die Merle nicht verstand.
    Alle Steingestalten machten gleichzeitig einen Schritt nach vorn. Dann erstarrten sie wieder.
    Er drehte sich mit einem Lächeln wieder zu Merle um. »Stein, der lebendig wird. Ein guter Erfolg, könnte man sagen. Auf jeden Fall ein schlagkräftiger.«
    Sollte das eine Drohung sein? Nein, dachte sie, er hatte es nicht nötig, ihr mit seiner Steinarmee Angst einzujagen.
    »Und nun«, sagte er, »kommen wir zu einem neuen Versuch. Ein weiteres Experiment, könnte man sagen. Dein Freund besteht aus Stein, der bereits lebt, bevor er mit dem Steinernen Licht in Berührung gekommen ist. Was glaubst du, wird wohl geschehen, wenn wir den Obsidianlöwen ins Licht tauchen? Was wird aus ihm werden?« Ein Funkeln stand jetzt in Burbridges Augen, und Merle erkannte, dass es Teil jener wissenschaftlichen Neugier war, von der er zuvor gesprochen hatte. Ein Lodern und Glitzern, dabei aber kalt und berechnend. Es hatte eine beängstigende Ähnlichkeit mit dem Steinernen Licht, und zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie womöglich gar nicht mit Burbridge selbst sprach, sondern mit etwas, das Macht über ihn ergriffen hatte.
    Ein Herz auf der Suche nach einem Körper, hatte er gesagt. So wie sein eigener? War das die Art und Weise, wie das Licht ganze Gesellschaften und Völker organisierte und dirigierte? Indem es zuallererst seinen Anführern ein neues Herz gab?
    »Wir müssen hier weg«, sagte die Fließende Königin.
    Wirklich?
    »Ich spüre etwas!«
    Zwei Gestalten näherten sich über einen der Stege dem Kreis.
    Die eine war eine bizarre Kreatur, die aussah wie ein Mensch, der auf allen vieren lief - nur dass seine Brust und sein Gesicht nach oben wiesen. Um seinen Kopf, seine Augen und seinen Mund waren Dornenranken aus Stahl gewunden.
    Die zweite Gestalt war ein Mädchen mit langem, weißblondem Haar.
    Unmöglich! Absolut unmöglich!
    Und doch…
    »Junipa!«
    Merle ließ Burbridge stehen und rannte den beiden entgegen.
    Die Kreatur wich einen Schritt zurück und ließ zu, dass sich die Mädchen in die Arme fielen. Merle stammelte irgendetwas, woran sie sich später nicht mehr erinnern konnte. Sie hielt ihre Tränen nicht länger zurück.
    Als sie voneinander abließen, lächelte Junipa. Ihre Spiegelaugen glosten im Glanz des Steinernen Lichts. Ganz tief drinnen, ganz kurz nur, erschrak Merle bei diesem Anblick; dann aber wurde ihr klar, dass die Spiegelscherben nur die wabernde Helligkeit reflektierten, die sie alle umgab.
    »Was tust du hier?«, fragte sie atemlos, fragte es noch mal und noch einmal, schüttelte den Kopf, lachte und weinte zugleich.
    Junipa holte tief Luft, als müsse sie zum Sprechen all ihre Kraft zusammennehmen. Sie hielt Merles Hände, und ihre Finger schlossen sich jetzt noch kräftiger, so als wollte sie ihre Freundin, ihre Vertraute aus den ersten Tagen in der Spiegelwerkstatt des Arcimboldo, nie wieder loslassen.
    »Sie haben…« Sie verstummte, setzte neu an: »Talamar hat mich entführt.« Mit einem Wink auf die groteske Kreatur hinter ihr setzte sie niedergeschlagen hinzu: »Er hat Arcimboldo getötet!«
    »Wir müssen weg«, sagte die Fließende Königin. »Sofort!«
    Merle starrte Talamar an, sah die stählernen Ranken, die sein Gesicht in eine

Weitere Kostenlose Bücher