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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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erfrieren wir beide."
    „Das versuche ich gerade zu verhindern."
    „Sehr freundlich."
    Inmitten eines Treppenschachtes, des vierten oder fünften seit ihrem Aufbruch aus der Halle, blieb Vermithrax so abrupt stehen, dass Merle mit dem Gesicht in seine Mähne rutschte; es war, als tauchte sie in einen Wald aus gleißenden Unterwasserpflanzen.
    „Was ist?"
    Er knurrte und blickte sich wachsam um. „Hier stimmt irgendwas nicht."
    „Werden wir verfolgt?"
    „Nein."
    „Beobachtet?"
    „Das ist es ja gerade. Seit dem Kampf haben wir keine Sphinxe und Mumien mehr gesehen."
    „Ist mir ganz recht."
    „Komm schon, Merle, stel dich nicht dumm. Du weißt, was ich meine."
    Natürlich wusste sie es. Aber sie hatte sich die ganze Zeit über Mühe gegeben, es zu verdrängen, und hätte das gerne noch eine Weile länger getan.
    Außerdem war sie in der Stimmung, sich zu streiten. Mit der Königin, sogar mit Vermithrax. Sie verstand selbst nicht recht, woher diese Wut auf alles und jeden kam. Eigentlich war es doch Seth, der sie verraten und Junipa entführt hatte. Falsch! Junipa entführt, ja - aber verraten? Er hatte nichts getan, um Merle und die anderen an die Sphinxe auszuliefern. Er verfolgte noch immer sein ganz persönliches Ziel, und er hatte, kühl betrachtet, lediglich einen Vorteil genutzt. Junipa sollte ihn irgendwohin bringen, so viel war sicher. Denn sie war der Schlüssel zu einem raschen, mühelosen Ortswechsel. Aber wohin?
    Nach Heliopolis? Oder an irgendeinen Ort hier im Auge?
    „Diese ganze verfluchte Festung ist plötzlich wie ausgestorben!" Auch Vermithrax klang gereizt. Mit seiner kopfgroßen Nase schnupperte er in das Rund des Treppenschachts, während sein Blick aufmerksam umherschweifte. „Irgendwo muss doch jemand sein."
    „Viel eicht haben sie anderswo zu tun." Zum Beispiel mit Winter, fügte Merle in Gedanken hinzu.
    „Oder mit dem Sohn der Mutter", sagte die Königin.
    Merle stellte sich die Szene vor: ein gewaltiger Saal, in dem sich hunderte Sphinxe versammelt hatten. Alle starrten andächtig auf den aufgebahrten Leichnam. Gesänge hingen in der Luft, leises Raunen. Die Worte eines Priesters oder Anführers. Groteske Apparaturen und Maschinen wurden eingeschaltet. Elektrische Entladungen zuckten zwischen Metallkugeln und vielfach gewundenen Stahlspiralen. Flüssigkeiten brodelten in Glaskolben, kochend heiße Dämpfe schossen aus Ventilen zur Decke. Das alles dutzendfach gespiegelt in turmhohen Silberwänden.
    Dann ein Ruf, der wie Flammen von einem Sphinx zum anderen sprang. Schrille Masken des Triumphs, aufgerissene Münder, weite Augen, tosendes Gelächter, aus Freude, aus Erleichterung, aber auch aus kaum verhohlener Angst. Priester und Wissenschaftler, die um den Sohn der Mutter schwirrten wie Fliegen um ein Stück Aas. Ein dunkles Augenlid, das sich langsam hob. Darunter ein schwarzer Augapfel, ausgetrocknet und faltig wie eine Backpflaume. Und darin, gefangen wie ein Fluch in einer staubigen Grabkammer, ein heller werdender Funke teuflischer Intelligenz.
    „Merle?"
    Vermithrax' Stimme.
    „Merle?" Drängender jetzt. „Hast du das gehört?"
    Sie schrak auf. „Hm?"
    „Ob du es gehört hast?"
    „Was denn?"
    „Hör genau hin."
    Merle versuchte zu erfassen, was Vermithrax meinte. Nur schwer konnte sie sich von dem Bild lösen, das ihr Geist ihr vorgegaukelt hatte: das uralte, dunkle Auge, und darin der erwachende Verstand des Sohns der Mutter.
    Jetzt hörte sie es.
    Ein Heulen.
    Wieder stieg die Vorstellung einer monströsen Versammlung aller Sphinxe in ihr auf. Das Raunen, das Singen, die Laute des Rituals.
    Doch das Heulen hatte einen anderen Ursprung.
    „Klingt wie ein Sturm", sagte Merle.
    Sie hatte es kaum ausgesprochen, als etwas aus der Tiefe des Treppenschachts auf sie zuraste.
    Vermithrax beugte sich weit über das Geländer; Merle musste sich in seiner Mähne festklammern, um nicht über seinen Kopf hinweg in den Abgrund zu schlittern.
    Eine weiße Wand stieg aus dem Spiegelschlund herauf.
    Nebel, dachte sie erst.
    Schnee!
    Ein Schneesturm, der direkt aus dem Herzen der Arktis zu kommen schien, eine Faust aus Eis und Kälte und unfassbarer Kraft.
    Vermithrax riss die Schwingen hoch und faltete sie über Merle zusammen wie zwei riesige Hände, die sie fest an seinen Rücken pressten. Das Heulen wurde ohrenbetäubend und schließlich so laut, dass sie es kaum noch als Geräusch wahrnahm, eine Klinge, die durch ihre Gehörgänge schnitt und ihren Verstand tranchierte. Sie

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