Die Merowinger - Chlodwigs Vermächtnis
Verurteilte unschuldig sei. Aber er tat nichts und wartete, bis sie erschöpft war.
»Ich selbst habe einen Fehler gemacht«, sagte er, als sie nur noch kraftlos keuchte. »Solche Gewächse rottet man besser aus, statt sie zu hegen. Ich wusste ja, dass er der Sohn eines ihrer Könige war. Ich hätte ihn gleich beseitigen müssen, als ich ihn vor neun Jahren am Rhein gefangen nahm. Aber in meiner großen Güte ließ ich ihn leben. Ich übergab ihn dir zur Bewachung und damit er als Sklave auf deinem Gut arbeitete. Du hast ihn dir gleich ins Bett geholt … nun, du warst Witwe und allein. Dagegen war nichts einzuwenden. Aber dann hast du mich immer wieder gedrängt, ihn freizulassen. Ich gab nach, und am Ende war er dein Gutsverwalter und kommandierte. So weit durfte ich es nicht kommen lassen.«
»Er ist unschuldig!«, wimmerte Lanthild.
»Unschuldig?«, rief der König. »Das weiß ich besser! Diesmal wurde einer ihrer Stammesältesten gefangen. Ursio nahm ihn sich vor, und das hielt er nicht lange aus. Von dem wissen wir alles. Du und Willich … ihr wart im Frühjahr auf der anderen Seite des Rheins.«
»Eine Lüge!«
»Keine Lüge. Du wühlst doch schon lange für Theoderich und gegen mich. Er wollte die Alamannen gegen mich hetzen. Aber seine Botschafter konnten nichts ausrichten. Da wandte sich Audofleda an dich. Du hattest ja die besten Beziehungen. Dein Liebhaber gehörte zur Sippe des Alamannenkönigs. Ihr wart beide dort, das hat der Stammesälteste ausgesagt … habt ihnen Geschenke gebracht und noch mehr versprochen, auch das Asyl in Raetien, falls alles schiefgehen sollte. Ihr hattet Erfolg – kurz darauf schlugen sie los. So haben mich meine Schwestern verraten!«
»Höre mich an! So war es nicht …«
»Es ist nicht nötig, dass du noch weiter lügst. Auch Willich hat alles zugegeben.«
»Aber wir wollten doch nur verhindern«, schrie sie verzweifelt, »dass du dein eigenes Reich zerstörst! Theoderich wird dich zermalmen, wenn du die Goten in Gallien angreifst!«
»Das ist immerhin ein Geständnis«, sagte er höhnisch. »Ihr wolltet mich beschäftigen, damit ich mir keinen Schaden zufügte. Das hat mich über dreitausend Mann gekostet!«, brüllte er plötzlich. »Und nun schafft mir dieses Weib aus den Augen! Ich kenne sie nicht mehr! Bringt sie zurück auf ihr Gut und umstellt sie mit Wachen! Niemand darf zu ihr. Sie darf keine Botschaft versenden und keine empfangen. Wenn sie versuchen sollte, das Gut zu verlassen, ist sie zu töten. Zur Warnung soll man die Grube schon ausheben, in die man sie dann hineinstoßen wird – bei lebendigem Leibe!«
Kapitel 12
Es ging bereits auf Mitternacht, als die byzantinische Galeere zum zweiten Mal an der Brücke der großen Seine-Insel vom Ufer abstieß, um flussabwärts zu treiben. Der Mond schien, die Nacht war sternenklar.
Das Schiff glitt an den hohen Mauern und dicken, runden Türmen der Festung Paris vorüber, die sich düster gegen den hellen Himmel abhoben. Die Strömung war stark, die Seine führte viel Wasser, es hatte im Sommer oft geregnet. Für die Rückfahrt, einige Meilen stromaufwärts, wartete auf die Ruderer harte Arbeit.
Die meisten Gäste des Gesandten waren beim Zwischenaufenthalt von Bord gegangen. Fast alle betrunken, waren sie, sich gegenseitig stützend, über die lange Brücke getorkelt und hinter dem Festungstor verschwunden. Jetzt waren nur noch kaum mehr als dreißig an Bord, die sich auf dem großen Schiff fast verloren. Laute Lustbarkeiten waren nicht mehr erwünscht, nur noch zwei einsame Musikanten flöteten und zupften die Saiten. Man genoss die milde Luft, die vielleicht letzte warme Nacht des Jahres.
Am Heck war ein Kreis um die Königin versammelt. Gegen ihre Gewohnheit war Chlotilde an diesem Abend heiter gestimmt, gesprächig und ausdauernd. Das Wiedersehen mit ihrem Vetter Sigismund, den sie als Kind wie einen großen Bruder geliebt hatte, verjüngte sie sichtlich. Die beiden waren unerschöpflich im Austausch gemeinsamer Erinnerungen an Erlebnisse in Lyon, Vienne und Genf.
Auch einige Damen aus der Umgebung der Königin hatten im Gefolge Sigismunds Verwandte oder Bekannte aus früheren Zeiten wiedergefunden und unterhielten sich lebhaft.
Die kleine Chrodechilde war beim Zwischenaufenthalt schlafend von ihrer Kinderfrau ans Ufer gebracht worden. Die drei Jungen, Chlotildes Söhne, kannten dagegen keine Müdigkeit. Das seltene Abenteuer einer nächtlichen Schifffahrt kosteten sie voll aus. Sie rannten
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