Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Merowinger - Chlodwigs Vermächtnis

Die Merowinger - Chlodwigs Vermächtnis

Titel: Die Merowinger - Chlodwigs Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
Vom Netzwerk:
mit der Königin war. Einmal lächelte sie ihm sogar zu.
    Fast gleichzeitig hob eine andere den Kopf, und ihre ernste, gespannte Miene verwandelte sich in wenigen Augenblicken in eine Maske des Schreckens. Dies war die Zeit, die ein kleiner Kerl mit wackligem Gang vom Hallenportal bis zu Chlodwig brauchte. Lanthild entdeckte Ursio gleich, als er plötzlich eintrat und sich rasch zwischen den Grüppchen der Gäste hindurchwand.
    Hinter dem König blieb er stehen, neigte sich zu seinem Ohr und sprach etwas hinein. Chlodwig hörte aufmerksam zu, und sein zerklüftetes Gesicht verzog sich zu einem düsteren Grinsen. Dann sagte er nur wenige Worte, die anscheinend ein Befehl waren, und Ursio hob die verkrüppelte Hand zum Zeichen, dass er verstanden habe.
    Auf einmal sahen sie beide zu Lanthild hin, die ihre schreckensweit geöffneten Augen nicht von ihnen abwenden konnte. Und schon hatte Ursio kehrtgemacht und war wieder unterwegs zum Ausgang. Als sei er in großer Eile, schaffte er sich jetzt in dem Gedränge mit Schultern und Ellbogen Platz. Im nächsten Augenblick war er verschwunden.
    Da erwachte Lanthild aus ihrer Erstarrung. Sie sprang auf und machte ein paar hastige Schritte zum Ausgang hin, als wollte sie Ursio nacheilen. Plötzlich schwankte sie und lehnte sich an den Gast, der ihr am nächsten stand, einen der Byzantiner. Der blickte zunächst befremdet, stützte sie dann aber höflich. Zwei Franken, die sie kannten, sprangen hinzu und führten sie aus der Halle. Der Vorfall wurde kaum bemerkt. Auch Chlodwig war er entgangen.
    Horatius trat jetzt zu ihm. Der Künstler verbeugte sich und fragte, ob es genehm sei, dass er mit seinem Vortrag fortfahre. Er werde nun Verse bieten, die den König vollkommen zufriedenstellen würden.
    Ehe Chlodwig antworten konnte, sagte die Königin, ihr sei noch aufgefallen, dass in der Dichtung nur ungenügend der himmlische Beistand gewürdigt werde, mit dem die Vertreibung der Alamannen vor sich gegangen sei. Dazu sollten unbedingt noch an verschiedenen Stellen Verse eingefügt werden.
    Dieser Ansicht schlossen sich auch sehr lebhaft die geistlichen Herren an, und der König hatte nichts einzuwenden. Horatius zog die Grimasse, die drohendes Unheil bedeutete, und gab zu bedenken, dass die Ausarbeitung neuer, zusätzlicher Verse, wenn sie künstlerisch befriedigend ausfallen und im Gesamtwerk bestehen sollten, mindestens noch einige Stunden in Anspruch nehmen würde. Da sagte Chlodwig, er möge sich nur Zeit lassen. Sein Werk sei sehr lang, und man werde den Rest bei einer anderen Gelegenheit hören. Dies wurde allgemein begrüßt, außer vom Künstler, der mit der Grimasse für unverschuldetes Leiden abzog.
    »Du solltest ein Auge auf ihn haben«, sagte die Königin zu Chlodwig. »Mich würde nicht wundern, wenn er noch andere Aufträge hätte, als in seiner Dichtung unseren Gott zu leugnen und deine Verdienste zu schmälern. Dieser Horatius«, wandte sie sich an den Gesandten, »ist nämlich eine ›Aufmerksamkeit‹ unseres Schwagers Theoderich.«
    »Wie pikant!«, sagte Leonidas. »Er schickt einen Künstler, um den Untergang der Alamannen zu besingen, die er selbst in den Krieg getrieben hat?«
    »Oh, er tat sogar noch mehr. Mit dem Sänger traf ein Schreiben ein, in dem er meinem Gemahl zu seinem Sieg gratuliert und ihn geradezu überschwenglich belobigt.«
    »Ein echter Byzantiner!«, rief Avitus. »Heuchlerisch, doppelzüngig und schlitzohrig! Kein Wunder, er war ja lange als Geisel am Hof von Konstantinopel. Da hat er das gelernt! Verzeih«, sagte er zu Leonidas, als er dessen befremdeten Blick bemerkte. »Nimm es nicht persönlich.«
    »Er bekam es wohl mit der Angst zu tun«, sagte Chlodwig mit behaglicher Miene. »Ich gucke mir gerade die alten Römerkastelle an, die mir jetzt gehören … Worms, Speyer … und überlege noch: Was tun? Ziehe ich weiter, nehme ich ihm die Raetia weg – mitsamt den geflohenen Alamannen? Fange ich Krieg mit ihm an? Da kommt sein Schreiben. Er gratuliert mir. Aber nicht nur … er droht mir auch. Überschreite nicht die Grenze, Schwager, sonst … Na, ich dachte zuerst: Jetzt gerade! Jetzt werde ich es dir mal zeigen, du Sagenheld! Aber dann sagte ich mir: Lohnt das? Was soll ich mit Raetien? Mit kahlen Bergen und dichten Wäldern? Was ist da zu holen? Und weiter dachte ich mir: Dich kriege ich anders! Es bleibt dabei: Ich nehme mir deine Verwandten vor, die Westgoten! Das habe ich in Auxerre vor fünf Jahren mit Gundobad ausgemacht

Weitere Kostenlose Bücher