Die Merowinger - Chlodwigs Vermächtnis
überbracht hatte, stand ihm – wie sollte es anders sein? – nicht zur Verfügung.
Dieser Gesandte war derselbe Leonidas, der vor dem Krieg die Verhandlungen mit den Franken und den Burgundern geführt hatte. Er blieb nach den Siegesfeierlichkeiten in Tours noch einige Zeit im Frankenreich und folgte dem Hof auch in die neue Hauptstadt Paris. Von hier aus richtete er mehrere Schreiben an seinen Bruder Polyttas in Konstantinopel, die hier auszugsweise zitiert werden.
Im September 508 schrieb der Gesandte Leonidas unter anderem:
»Wir hatten in Tours und haben nun auch hier in Paris endlose Siegesfeiern, und König Chlodwig ist auf dem Höhepunkt seiner Macht. Täglich gibt es Dankgottesdienste, festliche Umzüge und Gelage mit bis zu tausend Gästen. Ich komme gar nicht aus den Festgewändern heraus und bin fast immer im Weinrausch.
Ganz Aquitanien und die Auvergne gehören jetzt zum Frankenreich, alles Land nördlich der Garonne und noch große Gebiete südlich dieses Flusses. Die ehemalige westgotische Hauptstadt Toulouse fiel erst in diesem Frühjahr, doch ohne nennenswerten Widerstand, denn die Goten gaben sie auf, und die romanische Einwohnerschaft, die fast ausnahmslos dem katholischen Glaubensbekenntnis anhängt, erwartete Chlodwig als Befreier. Ihr Bischof Heraclian öffnete ihm die Tore. Der König hat dort unermessliche Reichtümer gewonnen, denn ein Teil des Gotenschatzes fiel ihm in die Hände (darunter noch manches von der Beute des ersten Alarich bei seinem Raubzug in Rom vor knapp hundert Jahren). Der größere Teil konnte allerdings rechtzeitig in das stark befestigte Carcassonne gebracht werden, das die Franken zweimal vergebens belagerten. Aber natürlich ist auch in so reichen Städten wie Bordeaux, Angoulème, Poitiers, Périgueux ihre Raubgier befriedigt worden.
Mit großem Tamtam ehren sie hier einen Heiligen, Martinus, einstigen Bischof von Tours, den sie sich zum Sieghelfer erkoren haben und den sie mit Geschenken überhäufen (das heißt natürlich seine gewinnsüchtigen irdischen Nachlassverwalter). Vorsängerin bei den endlosen Huldigungschören für den Heiligen ist die nimmermüde Königin Chlotilde, die schon angekündigt hat, sie werde einmal in der Nähe seines Grabes ihren Alterssitz einrichten, um dann auch › ad sanctus ‹ beerdigt zu werden. Noch ist sie aber erst vierunddreißig Jahre alt, und sie blüht bei dem ganzen Rummel tüchtig auf. Denn als ich sie vor zwei Jahren zum ersten Mal sah, wirkte sie eher auf mich wie eine grämliche Betschwester. Ich stehe bei ihr in Gunst, was aber auch hart verdient ist. Denn durch eifriges Herumrutschen vor dem Martinsgrab habe ich mir die Knie böse aufgescheuert. Sie schickt mir täglich ihren Leibarzt mit Salben und wollenen Binden, aber die Wunden wollen einfach nicht heilen.
Dem König ist der Krieg viel weniger gut bekommen als seiner Gemahlin. Er macht zwar alles mit und unterwirft sich den aufwendigen Zeremonien (ich konnte den Franken aus unserer byzantinischen Erfahrung dazu manchen nützlichen Rat geben), aber ich habe den Eindruck, er leidet dabei und bleibt auch im Purpur und mit Diadem der alte Griesgram. In der ersten Schlacht, in der eigentlich alles schon entschieden wurde (bei Vouillé, sechs Meilen vor Poitiers, im vorigen Frühjahr), geriet er – wohl mehr aus Unachtsamkeit – in ein Getümmel und bekam zwei gotische Lanzenspitzen in die Rippen. Er hatte aber einen Kettenpanzer am Leibe, und sein Pferd brachte ihn in Sicherheit.
Die Wunden waren nicht gefährlich, doch künftig vermied er es, sich wie in früheren Zeiten nach ganz vorn zu wagen. Natürlich wird die Sache zum Heldenstück aufgebauscht. Angeblich hat er den Alarich persönlich auf dem Schlachtfeld gestellt und unter lustigem Schwertergeklirr in die Hölle befördert, wo der als Arianer ja hingehört. Worauf dann ein Schwarm dieser abtrünnigen gotischen Bösewichter den guten, tapferen König umringte und mit Lanzen auf ihn einstach. Und so weiter. Wir kennen solche Geschichten ja zur Genüge.
Chlodwig war vor zwei Jahren schon ziemlich verwittert mit seinen Falten, Narben und Geschwüren, aber jetzt ist er dazu noch stark gealtert. Wenn er nicht einen großen Auftritt hat, geht er gebeugt und schlurfend. Sein weißes Haar, das er immer noch lang bis zum Gürtel trägt, ist dünn geworden und über der Stirn völlig ausgegangen. Er sieht aus wie ein alter, flügellahmer Raubvogel, und wen er anstiert, was er oft ganz gedankenlos tut, der
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