Die Messermacher (German Edition)
schweiften ihre Gedanken ab zu der seltsamen Szene bei der Beerdigung. Immer wieder sah sie diesen langhaarigen Typen vor sich und Mariannes entsetztes Gesicht, als sie Reno von ihm wegzog. Irgendetwas stimmte hier nicht und nun kam auch noch das eben belauschte Gespräch hinzu. Entschlossen klappte Nora das Buch wieder zu, schnappte sich ihren Helm und rief im Vorbeigehen in die Küche:
„Ich fahr noch nach Göppingen zum Bummeln. Bin zum Abendessen wieder da!“
„Alles klar, Schatz! Viel Spaß und fahr vorsichtig!“, rief Delfina wie immer und Nora musste lächeln, denn dieses „Fahr vorsichtig“ hängte ihre Mutter jedes Mal an, wenn sie mit ihrem Mofa fuhr. Doch bei dieser langsamen Geschwindigkeit konnte nicht viel passieren, das war jedenfalls die Meinung von Nora und Felix. Ach ja – wo steckte der eigentlich?
„Nora, warte! Ich will mit!“, rief er aus seinem Zimmer, in das er sich unmittelbar nach dem Hauptgang zurückgezogen hatte. Denn er mochte keine Panna Cotta und so hatte er auch gar nicht mitbekommen, dass dieser Kommissar schon wieder dagewesen war. Felix hatte fast immer seine Kopfhörer auf und bekam selten mit, was im Haus so los war. Doch gerade war er auf der Toilette gewesen und hatte noch die Worte Göppingen und Bummeln gehört und dazu hatte er auch Lust. Doch seine Schwester stellte sich taub und war schon aus der Türe, bevor er überhaupt seine Hose richtig zugemacht hatte. Na egal, würde er eben alleine fahren oder dann doch lieber wieder in seinem Zimmer chillen? Felix war einen kurzen Moment hin und her gerissen, dann siegte aber doch wieder seine Bequemlichkeit und er zog sich in sein Zimmer zurück.
Nora hatte sehr wohl gehört, dass ihr Bruder mitwollte, doch bei dem, was sie plante, konnte sie ihren Bruder nicht gebrauchen. Sie hatte nämlich keineswegs vor, nach Göppingen zu fahren. Sie wollte in die Werkstatt und sich umsehen. Was sie genau suchte, wusste sie nicht. Doch sie wollte sich einfach inspirieren lassen und vielleicht fiel ihr irgendetwas ins Auge, das etwas Licht in die ganze Sache bringen konnte. Ganz unbemerkt kam sie allerdings nicht an, denn die alte Nachbarin fegte gerade den Weg vor ihrem Haus und rief, als Nora gerade abstieg und ihren Helm vom Kopf zog:
„Hallo, Fräulein Nora! Was machen Sie denn an einem Samstag in der Werkstatt? Sie müssen doch nicht Überstunden machen, so ganz allein?“
„Guten Tag, Frau Weber. Warum alleine? Ist Opa nicht da?“, stellte sie sich unwissend, denn Frau Weber wusste meistens über alles genau Bescheid.
„Der rote Flitzer ist nicht da. Sehen Sie … die Garage ist offen und kein Auto ist drin“, erklärte Frau Weber nur und deutete mit ihrem Besen hinüber zum Grundstück der Angerers.
„Haben Sie gesehen, wann er weggefahren ist?“
„Nein. Als ich heute Morgen um sechs die Zeitung geholt hab, war er schon weg.“
„So früh schon?“, fragte Nora erstaunt, doch sie wollte ihrer neugierigen Nachbarin nicht verraten, dass ihr Großvater so kurz nach dem Tod seiner Frau zum Segeln gefahren war. Das konnte ein schlechtes Licht auf ihn werfen und die Leute im Ort würden sich ganz sicher darüber das Maul zerreißen. Also wechselte Nora schnell das Thema:
„Haben Sie die Zeitung schon gelesen? Falls ja, könnte ich sie meinem Vater nachher mitbringen.“
„Ja, einen Moment. Ich hol sie schnell“, sagte die hilfsbereite alte Dame und schlurfte, entgegen ihren Worten, langsam ins Haus.
Während Nora auf die Zeitung wartete, musste sie grinsen, wenn sie daran dachte, dass die reichen Angerers es sich nicht leisten wollten, eine eigene Zeitung zu abonnieren. Ihr Vater interessierte sich als Gemeinderat sowieso nur für den regionalen Teil und seit Marianne in der Bücherei aushalf und über diese ehrenamtliche Tätigkeit schon des Öfteren etwas in der Zeitung stand, waren sich die Angerers einig, dass ziemlich viel von dem, was man in einem Interview gesagt hatte, verdreht wurde, vieles weggelassen und manches hinzugedichtet wurde und warum sollte man dann Zeitung lesen? Man konnte doch nie wissen, ob es überhaupt stimmte, was da stand und deshalb erschien es der Familie verlorene Zeit, sich damit zu beschäftigen. Deshalb bekam Jakob meist ein oder zwei Tage später den regionalen Teil der Göppinger Tageszeitung von Frau Weber und sie erhielt dafür ab und zu ein Glas Honig.
„Hier, Fräulein Angerer. Einen lieben Gruß an ihren Großvater und … mein
Weitere Kostenlose Bücher