Die Messermacher (German Edition)
hätte er mir doch eine SMS geschickt!“, empörte sich Nora, die immer noch nicht wahrhaben wollte, dass ihr Opa nicht mehr der war, der er noch vor dem Tod seiner Frau gewesen war.
„Du weißt doch, dass er sein Smartphone irgendwie verloren und nun sein altes Handy hervorgekramt hat. Damit hat er doch noch nie gerne SMS geschrieben. Jetzt gehen wir rüber zur Arbeit und wenn er dann ausgeschlafen hat, kann er uns erzählen, wie es beim Segeln war. In Ordnung?“, fragte Delfina und strich ihrer immer noch völlig aufgelösten Tochter eine lose Haarsträhne hinters Ohr. Wie viel Ähnlichkeit ihre Tochter mit der verstorbenen Adele hatte, wurde ihr in diesem Moment wieder schmerzlich bewusst.
„Ich geh dann mal schnell noch duschen. Bin gestern mit samt Klamotten und ohne Zähne zu putzen, eingeschlafen. Ich komm dann später nach, wenn das in Ordnung ist“, fügte sie noch hinzu, denn eigentlich sahen es ihre Eltern nicht gern, wenn sie zu spät zur Arbeit kam. Doch heute hatten sie ein Einsehen mit ihrer Tochter, die wirklich sehr unter der Situation zu leiden schien, dass ihr Opa sich anders verhielt, als sie es gewohnt war.
Wie sehr anders, das wurde ihnen klar, als sie die Werkstatt verlassen vorfanden. Keine Nachricht von Reno, weder in Form eines Zettels, noch auf dem Anrufbeantworter oder auf einem ihrer Handys – nichts! Ihr Vater war einfach nicht da!
Was war nur mit ihm los?
Den Tod eines geliebten Menschen verkraften zu müssen, war sicher sehr schlimm – sie litten ja alle darunter, doch dass man sich so seltsam benahm und die eigene Familie so im Ungewissen ließ und sich überhaupt nicht meldete, war dann doch etwas zu viel. Noch bevor Nora eintraf, entbrannte eine hitzige Diskussion, was nun zu tun sei.
„Uns kann es doch eigentlich egal sein, was Reno treibt“, war Mariannes Meinung. „Wir arbeiten ganz normal weiter. In der letzten Zeit war unser Chef doch auch immer weniger in der Werkstatt, wenn er sich um Adele hatte kümmern müssen. Wir sind das doch gewohnt und alles, was die Firma betrifft, ist uns bekannt und geläufig. Ich wüsste nichts, wozu ich den Rat oder die Hilfe von Vater bräuchte“, rief sie mit Nachdruck, doch Jakob wusste es besser.
„Die Firma gehört immer noch ihm und wenn wir für irgendwas eine rechtsverbindliche Unterschrift brauchen, was machen wir dann? Wir haben es immer noch nicht geschafft, beim Notar diese längst fälligen Vollmachten zu beantragen. Wenn Reno noch länger verschwunden bleibt, haben wir echt ein Problem!“
Er sprach nicht aus, was es bedeuten würde, wenn der Firmeninhaber aus welchen Gründen auch immer, länger verschollen bleiben würde! Wenn er starb, war alles klar, doch wenn er vermisst wurde, was dann?
„Nun warten wir doch erst mal ab. Immerhin ist er ja eigentlich erst seit gestern Abend verschwunden. Da wollte er zurück sein, aber vielleicht ist ihm irgendetwas dazwischen gekommen. Was genau das sein soll, weiß ich zwar auch nicht, aber wir sollten jetzt nicht gleich in Panik geraten und einfach mal abwarten. Meistens regelt sich doch alles von alleine, meint ihr nicht?“, fragte Tobias und klang überzeugter, als er es selbst war.
„Was regelt sich von alleine?“, fragte Nora, die gerade ihre Windjacke im Flur aufhängte, da es frühmorgens auch im Sommer recht kühl war, wenn man mit dem Mofa zur Arbeit fuhr. Sie war richtig aufgekratzt, weil sie sich so freute, endlich ihren Opa wieder zu sehen.
„Ist Opa schon wach?“, fragte sie gleich hinterher, obwohl sie auf ihre erste Frage noch gar keine Antwort bekommen hatte.
„Komm doch erst mal rein und setzt dich hin, Nora“, kommandierte ihr Vater in ungewohnt strengem Ton und Nora gehorchte ausnahmsweise sofort, denn Jakobs Tonfall bedeutete nichts Gutes.
„Ist was mit Opa?“, fragte das Mädchen auch sofort und setzte sich auf ihren Arbeitsplatz, der wegen der Beerdigung am Freitag nicht aufgeräumt worden war. Normalerweise bestand Reno darauf, dass wenigstens zum Wochenende hin die Arbeitsplätze ein bisschen aufgeräumt und gesäubert wurden.
„Reno ist immer noch nicht da und wir haben auch keine Nachricht von ihm. Da du auch nicht weißt, wo er steckt, gehe ich davon aus, dass auch auf deinem Handy keine Nachricht eingegangen ist, richtig?“, fragte Jakob, obwohl er die Antwort schon wusste.
„Natürlich nicht, sonst hätte ich ja wohl nicht nach ihm gefragt“, knurrte Nora und stand sofort wieder
Weitere Kostenlose Bücher