Die Messermacher (German Edition)
Hand tragen musste, ihre schwere Handtasche, die über ihrer Schulter hing und das baumelnde Fernglas, das sie um den Hals hängen hatte. Das alles behinderte sie bei ihrem Vorhaben, durch dieses elende Gestrüpp zu kriechen. Sie hatte bereits überall Kratzer und ihre Frisur war völlig aufgelöst, was ihre eh schon gereizte Laune noch mehr sinken und sie unvorsichtig werden ließ. Dann hörte sie scharrende Geräusche und beinahe wäre sie in Rüdiger hineingelaufen, der urplötzlich vor ihr stand. Sie kam jedoch nicht dazu, auch nur einen Satz zu sagen, denn noch im Umdrehen schlug ihr der Typ die Schaufel an den Kopf, sodass sie augenblicklich das Bewusstsein verlor.
27
Erstaunlicherweise hatte Nora trotz der aufregenden Ereignisse der letzten Tage sehr gut geschlafen. Lag es am Sekt oder an dem wunderbaren Hotelbett? Jedenfalls wachte sie wie jeden Tag zur gleichen Zeit auf und fühlte sich ausgeruht wie schon lange nicht mehr. Voller Tatendrang packte sie ihre paar Sachen zusammen und ging hinunter zum Frühstücken. Sie fühlte sich schon fast wie im Urlaub, denn ein üppiges Frühstücksbuffet liebte sie am meisten, wenn sie in Hotels war. Mit den verschiedensten Köstlichkeiten beladen setzte sie sich ganz hinten an die Wand, denn von dort konnte sie den ganzen Saal überblicken. Menschen zu beobachten und sich deren Geschichten und Schicksale dazu auszudenken, war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Denn wenn man wie sie auf dem Land lebte und arbeitete, kam man zwangsläufig nicht so viel mit anderen Menschen zusammen und die menschliche Vielfalt in solch einem Nobelhotel war immer sehr beeindruckend. Hier fühlte sie sich noch mehr wie ein richtiges „Landei“, aber trotzdem nicht unbedingt fehl am Platz. Sie ärgerte sich nur, dass sie nur Jeans und T-Shirt und nicht eines ihrer hübschen Sommerkleider dabei hatte. Nach drei Tassen Cappuccino, die ihr dann doch heftiges Herzklopfen bescherten, verließ sie das Hotel und nahm ein Taxi zum Hauptbahnhof. Sie ließ sich aus reiner Gewohnheit eine Quittung geben, denn diese Rechnung konnten sie sicher im Geschäft absetzen. Doch im Zug, den sie gerade noch erwischt hatte, fiel ihr ein, dass Marianne die Buchhaltung machte und die würde durch diesen Beleg erfahren, wo Nora gestern gewesen war und das durfte unter keinen Umständen geschehen! Also knüllte Nora die Taxiquittung zusammen und warf sie in den Müll. Zufrieden über ihre Umsicht widmete sie sich nun ihrem Plan, wie sie in Sachen Rüdiger und Marianne vorgehen wollte.
Über ihre Grübeleien hätte sie beinahe vergessen, dass sie in Geislingen umsteigen musste, denn dieser Zug hielt nicht in Salach. Dort stand aber ihr Roller und so musste sie in einen Bummelzug umsteigen, der wirklich an jedem kleinen Bahnhof hielt. Es war dann auch schon früher Nachmittag, als Nora endlich in Salach aussteigen konnte. Sie fluchte, weil sie nun durch den halben Ort zu ihrem Roller laufen musste. Missmutig stapfte sie los und kam wegen des äußerst heißen Sommerwetters mächtig ins Schwitzen. Völlig in Gedanken überquerte sie eine Straße, als es plötzlich hupte und Reifen direkt neben ihr quietschten. Erschrocken zuckte die junge Dame zusammen und starrte in ein ihr wohl bekanntes Gesicht.
„Herr Kiss!“, japste sie und taumelte benommen zurück zum Bordstein, wo sie sich mit heftig klopfendem Herzen auf ein Mäuerchen setzte. Kamen die Herzklopfen nun von dem Beinahe-Zusammenstoß oder von seinem Anblick? Nora wusste es nicht genau und versuchte, sich zu beruhigen. Joska hatte seinen Wagen an die Seite gefahren und kam hastig zu ihr. Er war völlig aufgewühlt und kniete sich vor die immer noch zitternde Nora.
„Ist dir was passiert? Du bist einfach ohne zu schauen auf die Straße gelaufen! Machst du so was öfter?“
„Tschuldigung … Joska“, stotterte sie, da ihr wieder einfiel, dass sie ja per Du waren. „Ich war so in Gedanken … ich hab einfach nicht aufgepasst. Danke, dass du sofort reagiert hast. Bist du im Dienst?“
„Nein, hab gerade Feierabend, da ich noch nicht genau weiß, ob ich heute Nacht noch Wache schieben muss. Ich sollte nach Hause und mich noch etwas hinlegen. Und du? Was machst du hier in Salach und das auch noch zu Fuß?“ Dabei stemmte er sich hoch und ließ sich neben Nora auf der Mauer nieder. Er saß nun so dicht bei ihr, dass sich ihre Schultern fast berührten und sie konnte trotz der heißen Temperaturen seine Wärme zusätzlich
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