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Die Meute der Morrigan

Die Meute der Morrigan

Titel: Die Meute der Morrigan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pat O'Shea
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Gold und Silber ist nagelneu.»
    «Oder alte Bilder? Haben Sie
irgendwelche alten Bilder, Gemälde, Zeichnungen, vergoldete Rahmen oder so was
zu verkaufen?» fragte er und sah sie scharf an, wobei er sich mit der
Zungenspitze rasch über die Lippen fuhr, so daß Brigit ein wenig von ihrem Mut
verlor.
    «Nein, leider nicht», sagte
sie.
    «Keine alten Bilder? Kein altes
Gold oder Silber? Was ist mit alten Büchern?» fragte der Mann.
    «Nein», sagte Brigit.
    «Sind Sie sicher?» fragte er.
«Absolut sicher?»
    «Ganz absolut», antwortete sie.
«Ich lüge nie!»
    Pidge wurde rot bei dieser
Erklärung. Wahrscheinlich denken manche Leute, daß sie selten die Wahrheit
sagt. Aber sie hat wenigstens ihren Mut wiedergefunden, dachte er.
    «Es tut mir leid, wenn ich Sie
gekränkt habe», lächelte der Fremde, und seine rosa Zunge zuckte wieder. «Ich
wollte nur Ihrem Gedächtnis nachhelfen, falls Sie doch etwas zu verkaufen
hätten, aber im Moment nicht dran dachten.»
    «Meinem Gedächtnis muß man
nicht nachhelfen», sagte Brigit. «Ich hab’ Pokale und Medaillen dafür
bekommen.»
    «Und Sie, junger Mann», sagte
der Fremde und wandte sich Pidge zu. «Haben Sie heute irgendwelche alten Bücher
zu verkaufen?»
    Er weiß Bescheid, dachte
Pidge. Er weiß tatsächlich, daß ich das zerschlissene alte Buch habe.
    «Nein», sagte er.
    «Nicht ein einziges?» fragte
der Fremde mit geheucheltem Erstaunen.
    «Nicht ein einziges»,
wiederholte Pidge fest und wandte den Kopf ab.
    «Harte Zeiten für Hausierer und
Händler», sagte der Mann. «Aber dafür hat man seine Gesundheit, und Gesundheit
ist mehr wert als Reichtum, heißt es!»
    Diese Worte waren begleitet von
einem dunklen Blick aus sanften braunen Augen, und sie kamen Pidge wie eine
Drohung vor. Er war sicher, daß die sanften braunen Augen nicht das wahre Wesen
des Mannes ausdrückten.
    Er betrachtete den Hausierer
verstohlen.
    Er wurde an etwas erinnert,
wußte aber nicht, woran. Obwohl er ungewöhnlich groß und dünn war, hatte der
Mann eine schöne Gestalt Er hatte etwas Geschmeidiges, das auf starke Muskeln
unter seinen Kleidern hindeutete. Seine Taille war schlank und sein Gesicht
lang und schmal. In den sanften braunen Augen funkelte es gelb. Da wußte Pidge,
woran ihn der Mann erinnerte: Er hatte den Blick eines edlen Tieres, ähnlich
wie die Pferde, die sein Vater züchtete.
    Der Hausierer erwiderte Pidges
Blick, und dann lächelte er wieder.
    Pidge sah die spitzen Zähne,
die so scharf und gelblich waren, und die Zunge, die darüber fuhr. Er sah die
große Kraft, die in den edlen, schmalen Schultern verborgen lag, und er merkte
auch, daß die Nasenflügel des Fremden sich die ganze Zeit, während er an der
Tür stand, bewegt hatten, so als nähme er die Witterung aller Dinge auf, die im
Haus waren. Er witterte und prüfte, ohne dabei denken zu müssen.
    Er ist wie ein Windhund, dachte
Pidge. Oder eigentlich nicht wie ein Windhund, sondern ein Hund von einer
gefährlicheren Rasse. Vielleicht hat er das Buch gerochen?
    «Ich kaufe deine Gedanken, wenn
du sie hergibst», sagte der Hausierer sanft.
    Einen Augenblick stand er da
und wartete auf Pidges Antwort, dann ging er den Weg hinunter zur Straße. Er
ließ Pidge völlig verblüfft zurück.
    «Na», sagte Brigit, «das ist
das seltsamste Wesen, was ich je gesehn hab’. Ich mochte ihn kein bißchen.»
    «Ich auch nicht», sagte Pidge.
    «Das war lustig, was er über
das Gedanken-Verkaufen gesagt hat, Pidge. Was hat er wohl gemeint?»
    Pidge fragte sich, ob er ihr
alles erzählen solle, was geschehen war, seit er tags zuvor das Antiquariat
betreten hatte.
    Aber wenn all die seltsamen
Dinge gar nicht passiert waren? Wenn sie nur so wirklich waren wie
beispielsweise ein — Bild? Ein Bild bestand aus Leinwand, Holz, Farbe und
dergleichen; und doch konnte der Maler aus seinem Material eine Schale mit
Orangen, ein ganzes Tal irgendwo, eine Schlacht oder was er wollte machen, und
alles sah wirklich aus. Irgendwas im Kopf des Künstlers brachte es hervor.
Vielleicht tat er etwas Ähnliches? Ich warte noch ein bißchen, beschloß er.
    «Das kann ich auch nicht besser
erraten als du», antwortete er wahrheitsgemäß.
    Sie spülten das Geschirr, und
dann lag der ganze Tag vor ihnen ausgebreitet wie ein weißes Blatt Papier, auf
dem nichts geschrieben stand. Sie hatten das Gefühl, als verginge die Zeit
nicht in der richtigen Geschwindigkeit Der Tag würde schrecklich langsam
vergehen, denn heute sollte ihr Vater mit der

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