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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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damit hilfreich.«
    »So sehe ich es auch. Und was haltet Ihr von Speiseverboten wie dem Genuss von Geflügel, Wasservögeln, Spanferkel, altem Ochsenfleisch und Ähnlichem? Ihr wisst, es gibt da lange Listen mit zahllosen Nennungen.«
    Sangio strich sich über das flatternde Lid. »Gar nichts! Ich kenne andere Listen, die Hühner, Rebhühner und Fasane ausdrücklich als unbedenklich erklären, ebenso wie Hammel, Kälber und Ziegen. Diesen Aufstellungen zufolge sind dagegen Fische, Birnen und alles, was leicht in Fäulnis übergehen kann, zu meiden. Meine Meinung ist nach wie vor: Fleisch, welches auch immer, schadet nicht, solange es nicht zu fett ist. Was hat ein Hähnchenschenkel mit der Pest zu tun? Nicht das Geringste! Ich weiß es genau, denn oftmals sah ich verschiedene Menschen dasselbe essen, und der eine wurde krank und der andere nicht. Nein, nein, solche Listen sind Humbug, geboren aus der Hilflosigkeit, irgendetwas verordnen zu müssen. Oh, ich sehe gerade, Ihr habt kaum noch Wein. Darf ich Euch nachschenken?«
    »Nein, vielen Dank. Verzeiht, wenn ich Euch so ausfrage, Dottore, aber wo wir gerade von Speisen reden: Was haltet Ihr von den Marmeladen und den Rosenblättern des Nostradamus? Bekanntlich überlebte er mehrere Pestwellen.«
    »Ebenfalls nichts. Ich kenne die Rezepturen und habe die Arzneien danach hergestellt. Sie sind wirkungslos. Leider, wie ich hinzufügen möchte. Wenn Nostradamus die Pest überlebte, dann nicht wegen seiner Marmeladen.«
    »Aber weswegen dann?«
    Der Dottore zuckte mit den Schultern. »Wenn ich das wüsste. Das ist ja gerade das Verhexte an der Pestis: Es gibt unzählige Prophylaktika und Therapeutika, und bei jedem einzelnen wird so getan, als sei es der Stein der Weisen. Bei näherer Betrachtung jedoch stellen sich alle als nutzlos heraus. Und bei den wenigen Malen, wo sie trotzdem zu wirken scheinen, kann es sich genauso gut um Zufall handeln.«
    Daraufhin sprachen beide Männer eine Zeit lang nichts. Jeder hing seinen Gedanken nach. Es war eine bittere Erkenntnis, die der Doktor ausgesprochen hatte, so bitter, weil sie unumstößlich schien.
    Irgendwann sagte Vitus: »Ich habe in Tanger einen arabischen Arzt kennen gelernt. Sein Name ist Doktor Chamoucha. Er versicherte mir, Ingwer sei außerordentlich heilkräftig. Während andere Medikamente nur die Auswirkungen der Pest bekämpften, wirke er gegen die eigentliche Krankheit. Chamouchas Begründung: Mit dem Schweiß, den der Ingwer verursache, würden auch die Pestsäfte den Körper verlassen.«
    Der Doktor nickte. »Ich halte große Stücke auf die arabischen Medizin. Wir haben ihr viel zu verdanken, seit sie vor Hunderten von Jahren über die Schule von Salerno nach Europa kam. Auch ich habe schon Wunderdinge über den Ingwer gehört. Dennoch glaube ich, dass er nur ein Mittel im Concerto aller Maßnahmen ist. Das Schwitzen senkt das Fieber des Kranken, und wenn das Fieber sinkt, fühlt er sich weniger geschwächt, und wenn er weniger geschwächt ist, hat er mehr Kraft, die Geißel zu besiegen. So gesehen, tut Ingwer das Seinige – genauso wie heiße Brühe, ein Aderlass oder herzstärkende Sude.«
    Vitus griff mechanisch zu seinem Glas und trank einen letzten Schluck. »Ich fürchte, ich muss Euch zustimmen. Es wäre auch zu schön gewesen, mit dem Ingwer ein Allheilmittel gefunden zu haben.«
    »Ja, ja, zu schön. Die Auswahl dessen, was wir Ärzte zur Heilung verordnen können, ist gar kümmerlich. Aber wie ich bereits vorhin sagte, liegt der Behandlungserfolg auch darin, die Ansteckungsgefahr zu mindern. So kommt es meiner Meinung nach ebenfalls darauf an, die Krankenstube gehörig mit Weihrauch zu bedampfen und die Familie anzuhalten, sich regelmäßig Mund und Hände mit Essig oder Wein zu spülen. Der Patient sollte stets zu lautem Sprechen angehalten werden, da er so besser verstanden werden kann und ein Herantreten an das Krankenlager nicht vonnöten ist. Ferner sollten die Fenster der Stube nur nach der Nordseite geöffnet werden, da in aller Regel der Südwind die gefährlichen Pestmiasmen heranträgt.«
    »So glaubt Ihr also auch, dass an allem die Miasmen schuld sind?«
    »Sicher, sicher. Wobei der Ausdruck Miasmen nur stellvertretend für das ist, was zweifellos vom Körper Besitz ergreift. Es dringt in den Leib ein, dieses unerkannte Mysterium, ob gasförmig durch die Schleimhäute oder durch die Haut oder, wie manche sagen, sogar durch die Augen. Es beginnt sofort mit den Organen zu ringen, was

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