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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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bereits im Westen, strebte Vitus zum Haus des Doktor Sangio. Er musste zum Glück keine Gondel nehmen, um dorthin zu kommen, und konnte auf diese Weise seinen schmalen Geldbeutel schonen.
    Das Haus glich eher einem Palazzo. Es hatte drei Stockwerke und war in einem warmen terrakottafarbenen Ton gestrichen. Friese und Freskenmalerei schmückten den oberen Teil der Fassade; Balkone mit reich verzierten Balustraden, über denen schräg gespannte Leinenplanen vor der Sonne schützten, bestimmten den unteren Teil. Insgesamt wies jedes Stockwerk mehrere prächtige Spitzbogenfenster auf. So beeindruckend das Äußere des Palazzos war, so penetrant umwehte ihn der Gestank nach Exkrementen. Er rührte von den zahllosen Kanälen her, die ganz Venedig wie ein Gitterwerk durchzogen. Offenbar kamen Giovanni und seine Kollegen keineswegs gegen die Mengen an, die Tag für Tag in den Abtritten landeten.
    Vitus stand unter der Lünette des Hauptportals und betätigte den löwenköpfigen Klopfer. Eine Zeit lang geschah gar nichts. Gerade wollte er nochmals klopfen, da erklang eine Stimme in seinem Rücken:
    »Der Dottore erwartet Euch schon, Cirurgicus.« Die Stimme gehörte einem Bediensteten, der ihn in den Innenhof geleitete und über eine Freitreppe nach oben führte. Leichtfüßig eilte er die vielen Stufen empor, vorbei am ersten
Piano nobile,
dem »vornehmen oberen Geschoss«, passierte ein Zwischenstockwerk, Mezzanin genannt, und gelangte schließlich zum dritten Geschoss. Er war so flink, dass Vitus einige Mühe hatte, ihm zu folgen. Oben angelangt, entfernte der Diener sich rasch, allerdings nicht, ohne vorher einladend in einen großen, hellen Raum gewiesen zu haben.
    Vitus sah sich um. Der Raum kam in den Ausmaßen eher einer Halle gleich, und wie bei Hallen häufig, war er kaum möbliert. Das Hauptaugenmerk, neben ein paar wandhohen goldgerahmten Gemälden und den kunstvollen Deckenfresken, beanspruchte ein großer marmorner Kamin mit reichlich Scheitholz davor.
    »Man vermag es sich zur Zeit schwer vorzustellen, aber im Winter fährt einem die Kälte hier gehörig ins Gebein. Da ist ein gut ziehender Kamin so wichtig wie kräftige Kost und ein stärkender Tropfen.«
    Vitus fuhr herum. Er hatte den athletischen Mann, der aus einer Nebentür hereingekommen war, nicht bemerkt. Rasch verbeugte er sich und sagte: »Verzeiht meine Unachtsamkeit. Ich bin Vitus von Campodios.«
    »Der Cirurgicus! Ich dachte es mir. Und ich bin Maurizio Sangio, derjenige, den alle den ›Pestarzt‹ nennen.«
    Die zwei Männer musterten einander und stellten fest, dass sie sich sympathisch waren. Sangio war ein stattlicher Mann in den Fünfzigern, von fester Statur, ohne Bauch, mit einem Kopf, der an die Büsten römischer Imperatoren erinnerte. Er trug eine hüftgepolsterte Hose, die kurz unter dem Knie endete, dazu ein Hemd mit Kragen von spanischer Spitze, Weste und Wams – alles gut sitzend und aus besten Materialien. Und alles, bis auf das Hemd, in glänzendem Schwarz. Vitus dagegen in seiner Dschellaba sah noch immer wie ein halber Araber aus, auch wenn er um die Leibesmitte einen breiten Ledergürtel geschlungen hatte.
    »Setzt Euch doch, Cirurgicus.« Sangios linkes Augenlid flatterte plötzlich, doch er beachtete es nicht. Stattdessen deutete er auf zwei lederbezogene Stühle, die an einem Eichentisch standen. »Wo Ihr wollt.«
    »Danke, Dottore.«
    »Ich hoffe, Ihr habt Euch schon ein wenig im schönen alten Venedig eingelebt?« Der Pestarzt nahm ebenfalls Platz.
    »Oh, ja, ein wenig schon.« Vitus erzählte, was der Tag bisher gebracht hatte, wobei er besonders darauf hinwies, wie schmerzlich der Abschied von Alb, Giovanni und Montella gewesen war. In welch bescheidenem Zustand sich jedoch ihre Bleibe über dem Kontor des dicken Händlers präsentiert hatte, verschwieg er. Es war dort wahrlich nicht heimelig, sondern klamm und feucht und schimmelig. Und voller Mücken. Die ersten Stiche hatten die Freunde schon davongetragen.
    Der Diener erschien und stellte eine Karaffe mit rotem Rebensaft, einen Krug mit Wasser und zwei Gläser auf den Tisch. Dann blickte er den Hausherrn fragend an. Als dieser unmerklich den Kopf schüttelte, entfernte er sich geräuschlos.
    Sangio erhob sich und schenkte selber ein. »Ja, ja, Giancarlo Montella«, sagte er. »Der Wein- und Vasenhändler, der jetzt auch noch Pantoffeln verkauft. Sagt, schmeckt Euch die Traube?«
    Vitus trank einen Schluck. Der Wein war kräftig und fuhr einem gehörig in die

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